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Radtour 2007 – „Quer durch Deutschland“

Auch im Sommer 2007 ist wieder eine Radtour im Kalender eingetragen und wie in den Vorjahren sind dafür drei Wochen eingeplant. Wie gewohnt soll die Tour in Oldenburg starten, irgendwie quer durch Deutschland gehen, dann an geeigneter Stelle die Alpen queren, an einem der romantischen Seen in Oberitalien oder im Tessin den südlichsten Punkt erreichen und abschließend wieder zurück über die Alpen an den Bodensee führen. Soweit die Planung… Tatsächlich sieht dann natürlich wieder alles anders aus: Der Sommer startet furios und zum großen Entsetzen aller Klimaforscher bereits Anfang April, legt dann Anfang Mai eine Pause ein und beschließt, diese Pause bis in das Jahr 2008 auszudehnen. Kühles und regnerisches Wetter mit diversen Überschwemmungen vor allem in den süddeutschen Mittelgebirgen und in den Alpen sind Grund genug, den Beginn der Tour immer wieder zu verschieben, bis dann Mitte August eine Entscheidung getroffen werden muss: Entweder jetzt oder nie. Am 16. August, in Oldenburg ein Tag mit heftigsten Regenschauern und einer Höchsttemperatur, die 10 Grad kaum übersteigt, reift der Entschluss zum „jetzt“, also am nächsten Morgen zu starten. Die Ausrüstung ist schnell gepackt, das Bike fahrbereit und das Regenzeug griffbereit als es am späten Vormittag des 17. August losgeht.

1. Tag (Freitag, 17.08.): Oldenburg – Detmold (166 km)

Von Oldenburg führt die Strecke zunächst nach Sandkrug. Weiter geht es auf dem Hunteweg, d.h. auf Waldwegen durch das Barneführerholz, nach Sandhatten, Dötlingen (wer es noch nicht kennt: dringend einmal durchs Dorf fahren, es lohnt sich) bis nach Wildeshausen. Da ab Wildeshausen der Hunteweg einige Schlenker bereit hält, die nicht unbedingt auf dem direkten Weg nach Detmold liegen, geht es auf einer nur mäßig befahrenen Straße bzw. auf teilweise brandneuen Radwegen an dieser Straße weiter nach Goldenstedt, Barnstorf und Wagenfeld. In Wagenfeld schnell eine kleine Erfrischung beim Discounter und schon beginnt das Grübeln über den eigenen Auftritt in der Öffentlichkeit. Warum? Ein etwas deplaziert wirkender junger Mann mit hessischem Akzent und italienischem Aussehen beginnt im Anblick des voll bepackten Bikes ein Gespräch, in dessen Verlauf er seine Lebens- und Krankengeschichte und seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten (5 Euro pro Tag) als nicht arbeitsfähiger Empfänger irgendeiner öffentlichen Leistung ausbreitet. Ganz nebenbei fragt er nach meinem Reiseziel: „Willst Du auch nach Freistatt?“, was mich dann doch stark beeindruckt. Denn Freistatt ist als niedersächsischer Ableger der von Bodelschwinghschen Anstalten („Bethel“) u.a. die zentrale Anlaufstelle für wohnungslose und obdachlose Menschen. Sehe ich wirklich so abgerissen und bedürftig aus? Egal, nun ist die Ausrüstung gepackt, Augen zu und durch, Sch… drauf. Und so geht es weiter auf einer kleinen Nebenstraße nach Sielhorst und Rahden, dann auf oder parallel zur B239 über Espelkamp, Lübbecke und Kirchlengern nach Herford und schließlich über Bad Salzuflen, Schötmar und Lage nach Detmold. Was ist noch zur Strecke zu sagen? Eigentlich nichts Besonderes. Eine Karte ist nicht unbedingt erforderlich, da sie für Radler sehr gut ausgeschildert ist, und bis Wildeshausen (Wohnort seit Jahren: Oldenburg) bzw. ab Herford (aufgewachsen in Detmold) macht sich sowieso der Heimvorteil bemerkbar. Es wird allerdings erstmals ab Lübbecke mit der Überquerung des Wiehengebirges (hört sich gebirgiger an als es ist, denn es sieht nur so aus wie’n Gebirge…) hügeliger, so dass doch der ein oder andere Höhenmeter zu bewältigen ist. Und was macht das Wetter? Regenzeug anziehen - Regenzeug ausziehen, im halbstündigen Rhythmus. Dazu bis Lübbecke ein teilweiser störender und kalter Gegenwind, der die Frage nach dem: „Was mache ich hier überhaupt?“ immer wieder provoziert. Für Übernachtung ist bei den Eltern gesorgt, die dann auch schon mit allem, was der Radler braucht, insbesondere die 4 „B’s“ (Bad, Bett, Bier und Bewunderung), auf mich warten. Vor dem Einschlafen versuche ich noch eine Antwort auf die Frage zu finden, welcher Urtrieb dafür verantwortlich ist, wildfremden Mitmenschen im Eingangsbereich eines Discountmarktes die Lebens- und Leidensgeschichte zu erzählen.

2. Tag (Samstag, 18.08.): Detmold – Edersee (107 km)

Eltern

Start am zweiten Tag
Gut erholt und mit den 4 B's versorgt geht's am
zweiten Tag weiter

Spät aufwachen, noch ein bisschen liegen bleiben, ausgiebig frühstücken, dann ein wenig quatschen, und schon ist es Mittag. Trotzdem geht’s weiter, auf mäßig befahrenen Straßen über Heiligenkirchen, Veldrom und vorbei an der alten Wirkungsstätte in Herbram nach Scherfede. Hier beginnt der hessische Fernradweg R6 mit einer für Fernradwege baulichen Meisterleistung: Für die Überquerung der Diemel gibt es eine Brücke mit Stufen, über die ein Bike nur getragen werden kann. Besonders praktisch ist dies, wenn das Bike dann auch noch bepackt ist. Macht nichts, denn ab hier beginnt nicht nur das herb-schöne hessische Hügelland, sondern auch der Geltungsbereich des mitgebrachten Kartensatzes „Süd“ (der Herausgeber scheint Probleme mit der Einteilung Deutschlands in „Nord“ und „Süd“ zu haben). Und so geht es frisch weiter nach Rhoden, dann streckenweise auf einem Radweg an der B252 nach Arolsen, das sich seit 10 Jahren „Bad“ Arolsen nennt (einmal durch die Stadt fahren, sehenswert), hinab ins Twistetal und durch eine völlig verschlafene Gegend über Elleringhausen, Höringhausen, Sachsenhausen, Ober- und Niederwerbe zum Edersee, der in diesem Jahr dank reichlicher Regenfälle gut gefüllt ist. Abgesehen von den Abschnitten auf den Straßen ohne Radwege ist diese Tagesetappe sehr nett, aber durchaus hügelig bei geschätzten 600 Höhenmetern. Vor allem hat das Wetter mitgespielt, heiter und trocken bei 21 Grad, nach den Regenfällen der Vortage ein echter Genuss. Übernachtung auf dem bereits bekannten Campingplatz „Bettenhagen“ auf der Halbinsel Scheid, direkt am Seeufer mit Blick auf das Schloss Waldeck (7,00 Euro, 0,50 Euro extra für 4 Minuten Duschen), persönliche Bewertung: ***

3. Tag (Sonntag, 19.08.): Edersee – Ruttershausen / Lahn (117 km)

Campingplatz Bettenhagen am Edersee

Campingplatz "Bettenhagen" am Edersee
Übernachtung in der ersten Reihe mit Blick auf Burg Waldeck

Der Tag startet mit Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Frische Brötchen im Campingshop besorgen, gemütlich in der Sonne frühstücken, alles einpacken und dann wieder auf das Bike in Richtung Staumauer. Nach Überquerung der Staumauer eine Überraschung: In Hemfurth wird das Fischerfest begangen, u.a. mit einem auf ostfriesisch getunten Shanty-Chor, der von den Wellen der Nordsee, emotionalen Problemen von Seeleuten und Fernweh nach den Weltmeeren singt. Da fährt man mehr als 250 km und hat diesen ganzen Nordseequatsch immer noch in Reich- und Hörweite. Vor lauter Entsetzen sende ich eine Hörprobe nach Oldenburg (das Gelächter ist groß) und genehmige mir ein Frühbier. Leicht angeduselt geht die Fahrt hinab zum Kraftwerk, um von dort den in der Karte verzeichneten Radweg nach Kleinern zu nehmen. Aber Fehlanzeige: Der Radweg entpuppt sich als Wanderweg, steil und mit Stufen, und ist für ein bepacktes Bike definitiv nicht geeignet. Der Pförtner am Eingang zum Kraftwerk ist nett und gibt mir noch den Tipp, mit der Standseilbahn den Berg zu nehmen, aber auch dafür müsste das Gepäck vom Rad genommen werden, weil der Eingang zur Standseilbahn nur über Stufen erreichbar ist. Was soll’s, zurück auf den Radweg, der im Edertal -parallel zu einer Bahnlinie mit bemerkenswertem Draisinenbetrieb - über Affoldern nach Giflitz führt. In Giflitz gesellt sich ein alter Bekannter zu den Hinweisschildern für Radfahrer, der hessische Fernradweg R6. Aber die anfängliche Begeisterung über den super ausgeschilderten R6 verfliegt schnell, da die zahlreichen Waldpassagen im Tal des Wesebachs teilweise sehr steil und nur schlecht befahrbar sind. Also zurück auf die Straße, die jedoch so gut wie frei von Fahrzeugen ist.

Marburg

Marburg

Auf landschaftlich sehr reizvoller Strecke geht es permanent bergauf bis auf die Berghöhe nach der Wesemühle, dann auf einem Wirtschafts- und Waldweg bis zur B252 und das kurze Stück hinab bis Löhlbach. Löhlbach ist so langweilig, wie es sich anhört, deshalb sofort weiter im Tal hinab bis Kloster Haina. Das Kloster, gegründet 1188 und lt. Homepage „eines der besterhaltenen Zisterzienserklöster Deutschlands“ ist beeindruckend und nicht zu übersehen.Von klösterlicher Atmosphäre ist jedoch nicht viel zu spüren, da in den Gebäuden das „Zentrum für Soziale Psychiatrie“ untergebracht ist und ansonsten auch gerade gebaut wird. Ohne Rast geht es weiter über eine kleine Anhöhe nach Gemünden und dann im Wohratal bis Kirchhain. In der Höhe von Halsdorf erscheint wieder der R6, diesmal als bestens ausgebauter und romantischer Radweg parallel zu einer stillgelegten Bahntrasse und zur Wohra. In Kirchhain trifft der R6 auf den Lahn-Radweg, der fast ausschließlich auf Wirtschaftswegen durch das Lahntal führt. Nach einem kurzen Zwischenstopp während eines Schauers geht es bei strahlender Sonne an Marburg (bereits im Vorjahr besichtigt, sehr lohnenswert) vorbei bis Ruttershausen kurz vor Lollar. Der Campingplatz (8,00 Euro, 0,60 Euro für 5 Minuten Duschen) befindet sich direkt an der Lahn und ist nur gering belegt, offensichtlich sind einige Dauercamper vom letzten Hochwasser der Lahn vergrault worden. Für den Betrieb des Platzes ist ein sehr netter älterer Herr zuständig, der in jungen Jahren selbst mit dem Rad durch Deutschland getourt ist und sich an Oldenburg in Kriegstagen erinnert. Persönliche Bewertung: **, die Sanitäranlagen könnten mal wieder „aufgefrischt“ werden. Das Wetter hat sich zwar den ganzen Tag gehalten, dafür gibt es in der Nacht ein Gewitter mit Blitzeinschlag in maximal 100 Meter Entfernung, ziemlich beeindruckend, wenn man ohne Schallschutz im Zelt sitzt…

4. Tag (Montag, 20.08.): Ruttershausen / Lahn – Maintal (82 km)

Das Gewitter der vergangenen Nacht hat keine Spuren hinterlassen und so geht es wiederum am späten Vormittag weiter auf dem Lahnradweg nach Giessen.

Bad Nauheim

Bad Nauheim
Ziemlich historisch und langweilig...

Berühmte Universitätsstädte müssen nicht unbedingt sehenswert sein, Giessen ist dafür ein gutes Beispiel. Zudem wäre ein Navigationssystem im Gewirr der Straßen auch nicht schlecht… Aber nach einigem Hin und Her erscheint dann auch ein ausgeschilderter Radweg, der ohne Umwege über Großenlinden und Langgöns nach Butzbach führt. Der B3 durch Butzbach folgend zweigt kurz vor der Auffahrt zur A5 ein Wirtschaftsweg nach Ober-Mörlen ab, wo dann schon der nächste Wegweiser zielstrebig nach Bad Nauheim führt. Der Kurbetrieb in Bad Nauheim hat etwas ehrwürdig historisches, aber eine kleine Pause reicht völlig aus, um diesen Eindruck aufzunehmen, sonst wird’s langweilig. Also nix wie weg aus diesem Ort und weiter nach Friedberg, einem kleinen Städtchen, das niemanden wirklich vom Hocker haut. Am Ortsausgang auf der B3 in Richtung Ober-Wöllstadt ist ein Hügelchen zu nehmen und da gibt es dann tatsächlich noch eine kleine Überraschung: Über die nächsten Anhöhen hinweg sind die obersten Stockwerke der Skyline von Frankfurt, dem geplanten Ziel des Tages, zu sehen.

vor den Toren von Frankfurt

Ländliches Idyll am Stadtrand von Frankfurt
Von Großstadt nichts zu spüren

Noch ist es aber nicht so weit und so geht es auf Wirtschaftswegen weiter über Bruchenbrücken bis an die Nidda. Von dort bietet der hessische Fernradweg R4 / Nord-Süd die beste Möglichkeit, um zunächst im Niddatal über Karben bis nach Gronau und Niederdorfelden und dann auf Wirtschaftswegen über einen weiteren Hügel bis an den Main bei Bischofsheim zu fahren. Es ist schon erstaunlich, aber von der Nähe einer Großstadt ist erst direkt im Maintal etwas zu spüren. In Gronau muss die Entscheidung getroffen werden, welcher der vier Campingplätze in und um Frankfurt angefahren werden soll: Der City Camp liegt weiter flussabwärts an der Nidda in der Höhe von Heddernheim und wäre eine Möglichkeit. Der Campingplatz Offenbach liegt zwar direkt am Main und ist mit einer Fußgängerbrücke direkt mit Fechenheim verbunden, ist aber aufgrund der im letzten Jahr festgestellten gravierenden Probleme mit Hygiene und Sauberkeit ein absolutes No-Go. Und so verbleiben der Platz in Offenthal, zwischen Dreieich, Dietzenbach und Rödermark gelegen und der Campingplatz „Mainkur“ ebenfalls direkt am Main an der Stadtgrenze zu Frankfurt. Da Heddernheim nicht am Main liegt und die Motivation für eine Weiterfahrt nach Dreieich dann doch ziemlich gering ist, fällt die Wahl auf den sehr gepflegten Platz „Mainkur“, obwohl eine Schnellstraße ziemlich dicht vorbei führt (11,00 Euro, 1,00 Euro für einige Minuten Duschen). Persönliche Bewertung: *** Eine Zusammenfassung für den Tag: Eigentlich ganz nett, mit den Highlights Lahn-Radweg und R4. Ach ja, das Wetter: Trocken, wolkig und mit 22 Grad nicht allzu warm.

5. Tag (Dienstag, 21.08.): Maintal – Mainaschaff (67 km)

Campingplatz Mainkur

Campingplatz Mainkur in Maintal
Direkt am Main mit Blick auf die Skyline von Frankfurt

Von Maintal bis nach Mainaschaff sind es auf dem Maintal-Radweg natürlich weniger als 67 Kilometer und eigentlich ist diese Distanz für eine Tagestour auch ein bisschen wenig. Aber verschiedene Gründe sprechen am Morgen gegen eine „vollwertige“ Tagestour: Zunächst erst einmal scheint die Sonne und es ist schlicht und einfach entspannend, am Main zu sitzen, Wärme und Sonne zu genießen und auf die Skyline von Frankfurt zu schauen. Dann gibt es, gelobt und gepriesen sei die Flatrate, ein lustiges Dauertelefonat bis der Akku wegen Überlastung in den vorzeitigen Ruhestand eintritt. Und schließlich muss es dann auch noch ein Abstecher in die Stadt sein. Fazit: Erst am frühen Nachmittag geht’s auf dem Maintal-Radweg weiter. Da das Wetter inzwischen unter nordwestlichen Einfluss geraten ist, d.h. sich bei ca. 20 Grad zu gelegentlichem Nieseln entschlossen hat, kann endlich einmal wieder das Regenzeug ausgepackt werden. Und so geht es dann zunächst auf dem linken Mainufer nach Seligenstadt (unbedingt sehenswerte Altstadt!) und etwas weiter flussaufwärts ab Mainhausen auf dem rechten Flussufer weiter in Richtung Aschaffenburg. Ganz wichtig: In Mainhausen gibt es zwei Wegweiser in Richtung Aschaffenburg, 13 km auf dem linken Ufer und 14 km auf dem rechten Ufer. Wer die kürzere Strecke wählt, trifft die schlechtere Wahl, da diese Strecke wegen einer Industrieansiedlung abseits des Mains geführt wird und vor Aschaffenburg auf einer sehr befahrenen Straße endet. Ein weiterer Vorteil der Route auf dem rechten Flussufer: Am Mainparksee in Mainaschaff befindet sich ein Campingplatz, auf dem im Anblick einiger bedrohlich dunkler Wolken das Zelt für die Nacht aufgebaut wird (9,00 Euro, 1,00 Euro für einige Minuten Duschen), persönliche Bewertung: ***

6. Tag (Mittwoch, 22.08.): Mainaschaff – Miltenberg (53 km)

Miltenberg

Miltenberg
Romantische Stadt am Main

Zum Frühstück grüßt die Sonne und beschließt gnädig, den ganzen Tag präsent zu bleiben. Also ist Sommer angesagt, weg mit dem Regenzeug und her mit den Sandalen. Kurz vor Mittag geht es dann gemächlich am Main weiter, immer auf dem Maintal-Radweg bleibend, unreife Äpfel von einem der zahlreichen wilden Apfelbäume kauend und auf der Suche nach einer Bademöglichkeit im Fluss. Es bleibt allerdings bei dem Gedanken an ein kühles Bad und so ist Miltenberg bereits am Nachmittag erreicht. Für eine Weiterfahrt in den Odenwald fehlt die Motivation, das Städtchen ist ausgesprochen nett und romantisch, das Wetter bei 23 Grad immer noch sommerlich sonnig und der Campingplatz direkt am Main (9,00 Euro inkl. Dusche, persönliche Bewertung: ***) ist aus den Vorjahren noch in guter Erinnerung, d.h. die Entscheidung ist klar: Hier soll das Zelt stehen. Also wieder einmal ein Kurztrip, womit genügend Zeit für eine Stadtbesichtigung bleibt. Auf dem Campingplatz herrscht gute Stimmung: Übermorgen beginnt auf der gegenüberliegenden Seite des Mains ein Volksfest und einige Dauercamper sitzen bereits im Trainingslager "dohockediedieimmerdohocke", um ihren Organismus auf die regelmäßige Einnahme alkoholischer Getränke einzustimmen. Ein Tipp für alle, die dieses Training verweigern: Die Kaffeerösterei „Mika“ in der Hauptstraße (Fußgängerzone) röstet selbst und produziert einen köstlichen Espresso, der bei passender musikalischer Untermalung (Lounge, Ambient) vor Ort „chillig“ konsumiert werden kann. Ein schöner Sommertag findet später bei einem netten Abendessen und einem Frankenwein auch ein nettes Ende, obwohl es dann doch noch einige Tropfen regnet.

7. Tag (Donnerstag, 23.08.): Miltenberg – Bullau (36 km)

Bereits während des ausgedehnten Frühstücks wärmt die Sonne, völlig ungewöhnlich in diesem Sommer, und eigentlich wäre faulen auch eine gute Beschäftigung. Um Mittag herum reift dann doch der Entschluss, noch ein Stückchen zu fahren, aber nicht ohne vorher noch einmal bei „Mika“ vorbei zu schauen und einen doppelten Espresso zu trinken. Der Start in den Odenwald findet somit erst am frühen Nachmittag statt, dafür geht’s dann auf ausgesprochen romantischen Strecken zunächst nach Amorbach und weiter bergauf über Kirchzell (längere Pause mit erfrischendem Fußbad im Bach neben der Kirche) nach Breitenbuch auf der Höhe des Odenwaldes.

Campingplatz am Rande des Universums

Der Campingplatz am Rande der Welt
Hinten rüber fallen lassen, in absoluter Stille
relaxen und in die Bäume schauen

Ein Einheimischer, der völlig entspannt vor seinem Anwesen sitzt und den Feierabend genießt, liefert eine Streckenbeschreibung für die Weiterfahrt nach Bullau, die an Präzision nicht zu überbieten ist. Und so führt der Weg zielsicher zunächst auf einer wenig befahrenen Straße in Richtung Würzberg, dann hinter der Landesgrenze durch den Wald, vorbei an den Ruinen eines römischen Badehauses (super interessant, einen Besuch wert), den Überresten des Odenwald-Limes und eines römischen Lagers bis zum Jägertor, weiter am Haus Hubertus vorbei bis zum Ortseingang Bullau. Der Campingplatz überzeugt durch eine unglaubliche Ruhe und familiäre Atmosphäre. Einige anwesende Dauercamper, nach eigenen Angaben „Vierjahreszeitencamper“ auf der Flucht vor Hektik und Lärm der Städte, regeln in Abwesenheit der Campingplatzbetreiber den einzigen Neuzugang des Tages. Es gibt viele verlassene, romantische und stille Gegenden in Deutschland, dieser Teil des Odenwaldes zählt sicherlich dazu. Und somit bekommt dieser Platz auch die ehrenvolle Bezeichnung „Campingplatz am Rande der Welt" verliehen (8,90 Euro, 0,50 Euro für 15 Minuten Duschen, persönliche Bewertung: ***). Zum Abend braut sich in der Ferne über Frankfurt ein Gewitter zusammen, von dem aber nur der Widerschein zahlreicher Blitze zu bemerken ist. Ansonsten stört nichts die traumhafte Ruhe.

8. Tag (Freitag, 24.08.): Bullau – Walldorf (86 km)

Es ist unglaublich, auch heute scheint bereits zum Aufstehen die Sonne und verführt zu einem gemütlichen Frühstück mit anschließendem Faulenzen. Kurz vor Mittag ist aber das Bike wieder bepackt und der Weg führt auf einsamen Forststraßen über Gebhardshütte abwärts nach Hetzbach im Mömlingtal, noch gut bekannt aus 2006. Ab hier soll es wie im letzten Jahr auf dem hessischen Fernradweg R4 zunächst aufwärts bis Beerfelden und anschließend abwärts bis ins Neckartal bei Hirschhorn weitergehen. Peinlich: Die Erinnerung an die Strecke ist leider nicht mehr so präzise und ein unachtsamer Moment irgendwo im Wald hinter Beerfelden reicht aus, die ansonsten gut ausgeschilderte Strecke im Wald zu verlieren. Zurück zu fahren und den richtigen Weg zu suchen ist keine echte Alternative, also: Augen zu und durch. Stark abschüssige und nur grob geschotterte Waldwege sind für echte Mountainbiker natürlich kein Problem und schwuppdiwupp taucht auch schon Gammelsbach an der B45 auf. Ganz bestimmt einer der Orte, in denen, wie der Westfale sagt, man „nicht tot über der Hecke hängen möchte“. Was nun folgt ist ein echtes Gruselstück auf einer viel befahrenen Bundesstraße mit mautscheuem Schwerlastverkehr und ohne landschaftsverbrauchendem Seitenstreifen.

Neckar

Der Neckar bei Neckargemünd

Da es deutlich abwärts geht, ist diese Episode glücklicherweise bereits nach gut 10 Minuten beendet und das Neckartal westlich von Eberbach erreicht, was bedeutet, dass es entspannt auf dem Neckartal-Radweg zumeist abseits der befahrenen Straßen bis nach Heidelberg weiter geht. Da der Campingplatz am Neckar gegenüber von Ziegelhausen im Hinblick auf die Lage (direkt an der viel befahrenen Straße) und das Publikum (Partyalarm, übertönt selbst den Straßenlärm) nicht wirklich überzeugt, geht’s weiter durch Heidelberg, Rohrbach und Leimen nach Walldorf, aber nicht ohne irrtümlich ein ziemlich dämliches Teilstück auf der Umgehungsstraße von Sandhausen zu fahren. Der Campingplatz in Walldorf heißt sinnigerweise „Astoria“ und ist von einigen Besuchen aus den Vorjahren bestens bekannt (8,00 Euro, Dusche inklusive, persönliche Bewertung: ***). Der Stammplatz unter der Birke auf der Wiese für Tagesgäste ist leider bereits belegt und so wird das Zelt in einer versteckten Ecke des Platzes aufgeschlagen. Kommentar zum Tag: Super Strecke mit nur wenigen Ausnahmen, bei selbst abends noch schweißtreibendem Sommerwetter. Ach ja: In vier Monaten ist Weihnachten, jetzt an Geschenke denken!

9. Tag (Samstag, 25.08.): Chill-out in Heidelberg (47 km)

Alte Brücke Heidelberg

Die Alte Brücke in Heidelberg
Selbstverständlich bei Sonnenschein...

Es bleibt Sommer und das Zelt bleibt stehen, eine klare Entscheidung. Zur Erfrischung geht’s am Mittag über den Fernradweg Heidelberg – Schwarzwald – Bodensee an den Badesee in St. Leon – Rot, um dort ganz züchtig mit Badehose bekleidet Sonne und Wasser zu genießen. Da Wochenende ist und zudem in Baden-Württemberg auch noch Sommerferien sind, ist dies nicht unbedingt ein einsames Plätzchen und Schönheiten (weiblich) sind leider auch nur vereinzelt auszumachen. Trotzdem sehr nett dort. Und was wäre ein Aufenthalt in Heidelberg ohne einen Besuch beim "Vetter"? Nur halber Kram! Und so geht es abends noch schnell auf dem genannten Fernradweg in die Stadt, in der noch ziemlich viel los ist, obwohl eine spontan entstandene Regenwolke einige Tropfen regnen lässt. Das Märzen im "Vetter", das in diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum feiert, ist wie immer ausgezeichnet. Später am Abend erreicht der Alkoholpegel dann einen Stand, bei dem eine sofortige Rückfahrt durch den teilweise stockdunklen Wald nach Walldorf angeraten erscheint, um Nebenwirkungen am nächsten Morgen zu vermeiden. Wie schon so oft stellt sich bei solchen Nachtfahrten die Frage, ob batteriebetriebene Fahrradleuchten mit herkömmlichen Halogenbirnen wirklich der Weisheit letzter Schluss sind: Nach 20 Minuten lässt die Leuchtkraft bereits merklich nach und zur Ankunft in Walldorf  sind die beiden Batterien vom Typ A dann schon ziemlich ausgelutscht...

10. Tag (Sonntag, 26.08.): Walldorf – Rastatt (108 km)

Weil’s so schön war geht’s am Morgen auf einen doppelten Espresso noch einmal nach Heidelberg. Dann zurück, Zelt abbauen und Bike bepacken und weiter Richtung Süden in den Schwarzwald. Bei der exakten Streckenplanung stellt sich jedoch heraus, dass die entsprechende Karte für den Nordschwarzwald leider zu Hause geblieben ist. Also was tun? Am Sonntag eine Fahrradkarte kaufen? Wird wohl schwer. Oder an der Tanke eine Straßenkarte kaufen? Auch nicht gut, weil das Auffinden von geeigneten Radwegen damit nicht wirklich unterstützt wird. Oder aus dem Gedächtnis heraus die bereits im letzten Jahr gefahrene Strecke rekonstruieren? Realistisch gesehen und unter Berücksichtigung meiner berufsgruppentypischen Vergesslichkeit auch keine echte Alternative. Also bleibt nur noch, eine wirklich unfehlbare Strecke zu fahren, bis das südlich anschließende Kartenblatt beginnt, und das heißt: Am Rhein entlang! Gedacht, getan. Start ist dann am Mittag und die Strecke führt zunächst durch das ausgedehnte Waldgebiet der Lußhardt nach Neudorf, dann weiter über Graben, Hochstetten, Leopoldshafen und Eggenstein nach Karlsruhe. Der Rhein ist hier nicht erreichbar, da zunächst ein Industriegebiet und anschließend der Karlsruher Hafen die Zufahrt verwehren. Bei Daxlanden geht’s dann auf den Rhein-Radweg, der nicht direkt am Ufer, sondern meist abseits in den Auwäldern oder auf einem der zahlreichen Deiche verläuft. Die Beschilderung ist jedoch ausgezeichnet und auch ohne Karte ist es kein Problem, diesem Weg zu folgen. Zwischen Plittersdorf und Ottersdorf befindet sich das „Freizeit-Paradies Rastatt“, ein Areal mit Badesee, Spiel- und Sportplätzen und einem Campingplatz (14,50 Euro, Duschen inklusive), der vor einigen Jahren als absoluter No-Go erkannt wurde, heute aber der einzige Campingplatz weit und breit ist. Die Hoffnung, dass sich in der Zwischenzeit etwas geändert hat, ist leider unbegründet: Die sanitären Anlagen (Herren) mit dem Prunkstück einer prähistorisch anmutenden Pinkelrinne stinken meilenweit nach Urin, weil ein genialer Geist sich für eine wasserfreie Technologie bei nicht ausreichenden Reinigungszyklen entschieden hat. Da diese Geruchsquelle räumlich nicht von den Duschen getrennt ist, wabert auch in den Duschen der zwar menschliche, aber trotzdem ekelige Gestank abgestandenen Urins und fördert den Brechreiz. Apropos Duschen: Eine ausgefeilte Spitzentechnologie sorgt dafür, dass nach drei Minuten die Dusche automatisch abschaltet. Ein erneutes Einschalten ist nur möglich, wenn die Duschkabine, üblicherweise unbekleidet und eingeseift oder mit Shampoo in den Haaren, verlassen wird, weil sich der Knopf zum erneuten Einschalten im Vorraum befindet. Und so geschieht es, dass nackte Kerle im Duschraum des „Freizeit-Paradieses“ ganz unparadiesisch fluchend durch die Gegend rennen. Persönliche Bewertung: Nach wie vor kein *, katastrophales Preis-Leistungs-Verhältnis, nach Möglichkeit vermeiden! Aber davon mal abgesehen ist der Tag super, Sonne mit Temperaturen bei 30 Grad und eine klasse Strecke zumeist auf wenig befahrenen Straßen, ab Karlsruhe dann nur noch auf Radwegen. Und zwei Badestopps an abgelegenen Seen ohne Kleiderordnung und Badeaufsicht müssen einfach sein. Beim ersten Badestopp an einem See in der Nähe von Wiesental erscheint im kristallklaren Wasser direkt am Ufer ein unglaublich dicker und ca. 80 cm langer Karpfen, der sich offensichtlich gestört fühlt und nur widerwillig davon schwimmt. Was fressen eigentlich Karpfen? Menschen sind als Beutetiere wohl ungeeignet, aber trotzdem fällt die Entscheidung auf Rückenschwimmen. Mann kann ja nie wissen…

11. Tag (Montag, 27.08.): Rastatt – Kehl (61 km)

Ohne Wehmut bleibt das stinkende Paradies zurück, um hinter Ottersdorf den Rhein-Radweg zu erreichen. Da es schon früh am Tag ziemlich warm und sonnig ist und hinter jeder Kurve entweder ein See oder eine Kiesgrube lockt, gibt es kaum Argumente gegen einen ausgedehnten Badestopp. Weg mit den Wildgänsen, die gelangweilt am Ufer herumlungern, und ab ins Wasser. Herrlich! Dann noch ein bisschen sonnen und weiter. Doch halt, irgendwas stimmt mit dem Bike nicht, das Fahrverhalten ist irgendwie anders als sonst. Ein Blick auf das Hinterrad reicht: Platten, so ein Mist. Das nun folgende Programm – Gepäck runter, Bremse aushängen, Rad ausbauen, Mantel von der Felge ziehen, Schlauch aufpumpen, Ursache suchen, defekte Stelle säubern, aufrauen und einschmieren mit Vulkanisierlösung, Flicken auf die angetrocknete Vulkanisierlösung drücken, warten, im Wasser auf Dichtheit prüfen, Luft ablassen, Schlauch und Mantel ordnungsgemäß auf die Felge ziehen, Rad wieder einbauen, Bremse einhängen, Probefahrt machen, Gepäck wieder drauf – ist zwar Routine und die Sonne scheint, es ist warm und Wasser zur Überprüfung des Schlauchs ist auch da, aber es nervt irgendwie. Da der Mantel auf dem Hinterrad schon ein bisschen stärker als der auf dem Vorderrad abgefahren ist, wird bei der Gelegenheit auch gleich zwischen vorne und hinten gewechselt. Nach mehr als zwei Stunden ist dann tatsächlich wieder an Weiterfahrt zu denken. Die Andenken an diesen kleinen Aufenthalt machen sich erst am Abend bemerkbar: 14 Beulen und blutende Stellen am rechten, 6 am linken Bein. Die Verursacher: Mücken und irgend so ein anderes mieses Viehzeug. Apropos Mücken: Die gibt’s in diesem Jahr wirklich reichlich, denn nach dem Hochwasser Anfang August entwickelten sich die überfluteten Auwälder zu wunderbaren Mückenbiotopen. Eins ist klar: Tulla und Honsell haben mit der Rheinkorrektion und der Schiffbarmachung mannigfaltige ökologische Schäden verursacht, können aber als Pluspunkt die Bekämpfung der Mückenplage und die Ausrottung der Malaria verbuchen. Was mag die Zukunft wohl bringen, wenn die Auwälder immer häufiger zum Hochwasserschutz geflutet werden? Wir werden sehen und derweil die Mückenstiche zählen… Und wie geht’s weiter? Erst noch ein bisschen auf dem Rhein-Radweg, dann bei Stromkilometer 330 auf den Uferweg, der nur geringe Hochwasserschäden aufweist und zielstrebig stromaufwärts bis nach Kehl. Zum Weiterfahren ist es in Kehl dank der Reparaturpause zu spät, denn der nächste stromaufwärts gelegene Campingplatz in Breisach ist noch mehr als 70 Kilometer entfernt und kann nicht mehr bei Tageslicht erreicht werden. Und so steht das Zelt für die folgende Nacht auf dem bereits aus Vorjahren bekannten Campingplatz in Kehl. Es bleibt genügend Zeit für Wäschewaschen und –trocknen, einen Stadtspaziergang und einen Gang auf eine architektonisch außergewöhnliche Brücke für Fußgänger und Radfahrer, die irgendwie an die Millenium-Bridge erinnert und Kehl mit Straßburg am gegenüberliegenden Rheinufer verbindet. Besonders beliebt bei einheimischen Senioren scheint das am höchsten Punkt der Brücke, also mitten über dem Rhein, angeordnete Forum zu sein: Die dort zu findenden Tische und Bänke sind von zahlreichen picknickenden und quatschenden Menschen im Rentenalter (oder kurz davor) bevölkert. Den Gesprächen zu lauschen fällt schon einigermaßen schwer, da der Dialekt zwar immer noch dem Deutschen Sprachraum zuzuordnen ist, für norddeutsche Ohren jedoch ein wenig fremdartig anmutet. Auch an der Rezeption des Campingplatzes ergibt sich noch eine zufällige Gelegenheit, dem Dialekt zu lauschen, als der Fahrer eines Kleinwagens mit französischem Kennzeichen sich lautstark mit dem Empfangschef über die Öffnungszeiten des Restaurants auseinander setzt. Da es mich irritiert, dass Franzosen den Dialekt genau so beherrschen wie die Einheimischen, spreche ich den Empfangschef darauf an. „Na ja“, sagt er, „die Elsässer sprechen Deutsch, weil sie ja auch eigentlich Deutsche sind.“ Tja, so einfach kann Geschichte sein. Reichlich konsterniert frage ich mich, ob die Elsässer das wohl auch so sehen. Das Städtchen lebt im Übrigen ganz gut von und mit den Elsässern, die aus dem chicen und teuren Straßburg zum Shoppen, Essen und Trinken über die Europa-Brücke in Kehl einfallen und bei den zahlreichen Discountern, Tabakläden und Restaurants für Umsatz und ansonsten für internationales Flair sorgen.

12. Tag (Dienstag, 28.08.): Kehl – Lörrach (152 km)

Wenn am frühen Morgen das Gras nicht nass ist, freut dies zwar den Camper, da das Zelt dann einfach abgebaut werden kann und nicht erst noch in der Sonne trocknen muss. Aber erfahrene Wandersleute wissen, dass es nur „im Frühtau zu Berge“ geht, denn ohne Frühtau erhöht sich die „Regenwahrscheinlichkeit“ und das stört. Der Begriff der „Regenwahrscheinlichkeit“, der aus den Meteo-Shows nicht mehr wegzudenken ist, wird hier natürlich in einem ungewöhnlichen Zusammenhang gebraucht. Macht aber nix, denn die meisten Menschen kennen die wissenschaftliche Definition des Begriffs sowieso nicht und ersetzen fehlendes Wissen durch (selbstverständlich falsche) Vermutungen. Und dann passt es wieder. Um aber wieder auf die Tour zurück zu kommen: Nach morgendlichem Sonnenschein hat es sich dann tatsächlich im Laufe des Tages bewölkt und das langsam aus dem kühlen Nordwesten vorrückende Tiefdruckgebiet sorgt dann zur Teatime tatsächlich für schauerliches Wetter, zum Glück bei immer noch angenehmen 23 Grad. Am Vormittag frischt der Wind aus West und Nordwest deutlich auf und sorgt für den nötigen Schub auf dem Weg nach Süden. Und dieser Weg führt zunächst am Rheinufer entlang bis zur Einmündung des Leopoldskanals, der das Wasser der Dreisam ordentlich und schnurgerade dem Vater Rhein zuführt. Da die erste Möglichkeit, den Leopoldskanal zu queren, sich in Rheinhausen-Oberhausen befindet, bleibt das Rheinufer zunächst einmal in einiger Entfernung. Der super beschilderte und sehr idyllischen Ragweg führt weiter über Weisweil und Wyhl nach Sasbach, immer in Sichtweite des Kaiserstuhls. Während einer Mittagspause, die in der Nähe des verschlafenen Örtchens Wyhl eingelegt wird, bleibt Zeit für eine Lobpreisung der Anti-AKW Bewegung, die vor vielen Jahren verhindert hat, dass in diesem von der Natur so großzügig beschenkten Stück Deutschland ein Industrierevier entsteht. Am Limberg, einem kleinen Bruder des Kaiserstuhls und ebenfalls vulkanischen Ursprungs, geht es wieder an den Rhein. Auf dem Uferweg führt die Strecke weiter über Breisach (sehenswert, aber voller Bustouristen) in Richtung Basel, vorbei an Neuenburg, Bad Bellingen und Efringen-Kirchen. Der Rhein mutiert ab Breisach zu einem Hochwasserüberlauf, da wesentliche Wassermengen vom parallel verlaufenden und schiffbaren Canal d’Alsace aufgenommen werden. In trockenen Sommern ist oftmals ein Spaziergang quer durch den Rhein nach Frankreich möglich, in diesem regenreicheren Jahr fällt das jedoch schwer. Leider wird die A5 südlich von Breisach mit tosendem Verkehr zum ständigen Begleiter des Rheins und somit auch des Radweges. Verflucht sei der Verkehrsplaner, der mit dieser Trassenführung eine ansonsten sehr schöne Landschaft entstellt hat. In Weil am Rhein kurz vor Basel wird der Radweg verlassen und es geht bei strömendem Regen auf und an der B317 nach Lörrach. Warum Lörrach? Diese Frage stellt sich, denn Lörrach ist keine Schönheit, sondern eine eher gesichtslose Industriestadt. Aber Lörrach hat den „Drei-Länder-Camp“ und auf diesem wird während einer Regenpause das Zelt aufgestellt (9,50 Euro, Dusche inklusive, persönliche Bewertung: ***, Teile der sanitären Anlagen befinden sich baulich in einem noch nicht ganz fertigen Zustand). Der Betreiber ist ein netter Typ, der für Alles und zudem für die Beaufsichtigung eines sich in den Schulferien, d.h. gelangweiten Kindes zuständig ist („Die Frau ist schaffe…“) und mit diesen Jobs keine ruhige Minute haben dürfte. Wenig motivierend ist die Wettervorhersage für den nächsten Tag: Regen und kühler.

13. Tag (Mittwoch, 29.08.): Lörrach – Waldshut (82 km)

Als der Regen zum Mittag eine Pause einlegt fällt trotz heftiger, witterungsbedingter Demotivation der Entschluss weiter zu fahren. Unterstützend wirkt ein leichtes Endorphin- und Serotonin-Doping mit stark kakaohaltiger Pfefferschokolade, köstlich. Mit einem nicht ganz trockenen Zelt im Gepäck geht es sodann ein Stückchen durch die Schweiz in Richtung Riehen. Auf dem ausladend breiten Rad- und Fußweg steht in großen, weißen Buchstaben: „Ausländer willkommen!“ Nun denn, die Schweiz ist eben anders, Deutschland zukünftig hoffentlich auch. Jetzt wäre eigentlich einmal der Zeitpunkt für eine Stadtbesichtigung, denn Basel soll ja ganz nett sein. Das Wetter spricht jedoch deutlich dagegen, der Himmel ist grau bei kühlen 19 Grad, die Stimmung ist auch grau und kühl und deshalb geht es weiter: Zunächst auf dem südlichen Rheinufer bis zum Wasserkraftwerk in Birsfelden, dann am Kraftwerk über den hier wieder reißenden und nicht mehr schiffbaren Fluss nach Grenzach-Wyhlen. Ab dort bekommt der Rhein-Radweg einen neuen Namen und heißt ab sofort „Hochrhein-Hotzenwald-Weg“, der Einfachheit halber ab sofort H2W genannt. Der H2W führt abseits der ziemlich ätzenden B34 über Rheinfelden, Schwörstadt, Bad Säckingen und Laufenburg (sehr schön) nach Waldshut. In Laufenburg hört es auf, wenig zu regnen, und dieser Zustand verschärft sich bis Waldshut noch erheblich. Und so wird der bereits aus den Vorjahren bekannte „Rhein-Camping“ (10,30 Euro, Dusche 0,50 Euro für drei Minuten, mustergültig im Hinblick auf Sauberkeit und Ausstattung, persönliche Bewertung: ****) bei Platzregen erreicht. Diese Witterung ist für die Region im Sommer nicht ungewöhnlich. Gelegentlich muss auch mit Rheinhochwasser gerechnet werden und der Betreiber des Campingplatzes erscheint dann als unerschütterlicher Interviewpartner auf PRO7. Aber Entwarnung, denn so dramatisch wird es heute nicht werden. Der Campingplatz betreibt neben einem sehr schönen Restaurant auch eine kleine Herberge, in der leider trotz der noch frühen Tageszeit (16:30 Uhr) alle Zimmer bereits von Gästen besetzt sind, die etwas früher aufgestanden oder noch weniger gefahren sind und nun bereits mitleidig lächelnd beim Bier sitzen. Somit lautet die Devise „hart sein“ und Zelt aufbauen, was aber glücklicherweise in einem Aufenthalts- und Küchenraum geschehen kann. Dann schnell das aufgebaute Zelt nach draußen in den Regen tragen, das Gepäck hinein und alles ist ok. Im Aufenthaltsraum sitzen zwei Mädels aus der Schweiz, die seit einer Woche mit Zelt und Bike unterwegs sind und dabei täglichen Regen genießen durften. Sie sind zwar lustig, aber trotzdem völlig demoralisiert und haben gerade beschlossen, morgen mit der Bahn zurück ins heimische Fribourg zu fahren. Kann ich verstehen und wir tauschen einige Anekdötchen aus, die Mädels auf Schwitzerdütsch, ich auf Norddeutsch und alle zusammen in der vagen, aber nicht unbedingt begründeten Hoffnung, dass der jeweils andere es versteht. Bei alledem kommt Langeweile nicht auf, denn es sind noch zwei Aufgaben zu erledigen: Erstens ist das Hinterrad wieder einmal zu flicken, da der Reifendruck seit Laufenburg immer nur für ca. 7 Kilometer reicht. Zweitens ist zu überlegen, wie die Tour weitergehen soll. Entweder nach Luzern und weiter über den Gotthard bis an den Lago Maggiore, also genau so wie im vergangenen Jahr. Oder weiter den Rhein aufwärts bis zum Bodensee mit der Option, dann auf einem anderen Weg durch die Schweiz bis nach Italien zu fahren. Aufgabe 1 ist schnell und -leider- routiniert erledigt. Aufgabe 2 nach einem Check der Alpenwetterlage auch, da es in der Schweiz und in Norditalien wie aus Eimern regnet und dieser Zustand noch etwas anhalten soll. Die Tour wird also am Rhein weiter gehen…

14. Tag (Donnerstag, 30.08.): Waldshut – Reichenau (118 km)

Während der Nacht besinnt sich das Wetter eines Besseren und entscheidet sich für häufiges schauern und nieseln. Am Morgen ist somit alles schön durchweicht und ein Blick aus dem Zelt zeigt eine typisch norddeutsche Szenerie: Alles ist grau und triefend nass. Zudem lässt ein dichter Nieselregen die Motivation zum Aufstehen wieder auf den Nullpunkt sinken. Also noch einmal umdrehen und Pläne für den Tag schmieden, die Fahrradkarte studieren und Streckenoptionen ausarbeiten. So festigt sich der Entschluss, den Rhein aufwärts zu fahren und als Tagesetappe ein Ziel am Bodensee anzuvisieren. Die beiden Mädels aus der Schweiz sitzen bereits zum Frühstücken im Aufenthaltsraum und haben ihr Zelt tropfnass eingepackt. Ich beschließe, das anders zu machen und warte, bis der Aufenthaltsraum frei ist und genügend Platz zum notdürftigen Trocknen des Zeltes bietet.

Deutsche Grenze

Die Deutsche Grenze bei Stein am Rhein
Grenzkontrollen für Radler? Nein Danke!

So geht es dann trotz anhaltenden Nieselns am späten Vormittag mit einer halbwegs getrockneten Ausrüstung und einigermaßen motiviert wieder auf dem H2W in Richtung Stein am Rhein. Der H2W verläuft nun immer häufiger nicht mehr direkt am Fluss und ab Hohentengen wird der sehr gut beschilderte Radweg weitab vom Fluss durch eine leicht hügelige Landschaft geführt. Zwischen Hohentengen und Rafz geht es dann in die Schweiz, einige Kilometer später wieder nach Deutschland, kurz vor Neuhausen am Rheinfall wieder in die Schweiz, einige Meter hinter Schaffhausen dann wieder hinaus (aber nicht so richtig, da das Gemeindegebiet von Büsingen zum Schweizer Zollgebiet gehört) und das Ganze wiederholt sich einige Kilometer hinter Gailingen und am Ortsausgang von Stein am Rhein. Alle Radler, die als Nicht-EU Bürger und Nicht-Schweizer mit einem Visum für Deutschland diese Strecke fahren wollen, seien somit vor permanenten illegalen Grenzübertritten gewarnt. Die Grenzübergänge für Radler sind am Tage jedoch nicht besetzt und die ehemals gut gesicherte deutsch-schweizerische Grenze ist damit löchrig wie ein Emmentaler Käse, gut so! Die Strecke ist im Übrigen landschaftlich sehr abwechselungsreich und reizvoll. Mit vielen kleinen Hügeln geht es durch ausgedehnte Obstgärten, vorbei an Weinbergen mit schon nahezu reifen Trauben und quer durch schattige und feuchte Laubwälder.

Rheinfall bei Schaffhausen

Der Rheinfall bei Schaffhausen
Nach den Regenfällen der letzten Tage ein ziemlich beeindruckendes Schauspiel

Ein touristisches Highlight ist der Rheinfall, der sich genau genommen weniger bei Schaffhausen, als vielmehr bei Neuhausen befindet. Aber egal, beide Städtchen sind eher unscheinbar und lohnen einen Besuch kaum. Aufgrund des hohen Wasserstands gibt es am Rheinfall auch genug zu staunen, allerdings nur gemeinsam mit mehreren Hundertschaften von Bustouristen, die ebenfalls staunen möchten. In Stein am Rhein, ein sehenswertes kleines Städtchen am Ausfluss des Rheins aus dem Bodensee (sorry: aus dem Untersee), herrscht großes Durcheinander, da die Altstadt zur Vorbereitung des Stadtfestes gerade umgekrempelt wird. Da es noch früh am Nachmittag ist, sich das Wetter inzwischen grandios verbessert hat und die Sonne auch ganz ordentlich wärmt ist die Entscheidung zum Weiterfahren schnell getroffen und als Tagesziel wird der Campingplatz auf der Insel Reichenau anvisiert.

Reichenau

Reichenau
Badestelle am Campingplatz Sandseele

Somit geht es auf dem Bodensee-Radweg am Seeufer weiter über Gaienhofen, Radolfzell und Allensbach bis auf „die Reichenau“. Die Insel präsentiert sich als überdimensionaler Gemüsegarten (reife Fleischtomaten im Freilandanbau direkt am Wegesrand, lecker…) mit integriertem Weinberg, drei Klöstern und dem Gütesiegel des UNESCO-Weltkulturerbes und ist unbedingt sehenswert. Der Campingplatz „Sandseele“ hat einen eigenen Seezugang, ein Terrassenrestaurant direkt am Wasser mit freiem Blick auf einen gnadenlos romantischen Sonnenuntergang und ist aufgrund der vergangenen Regentage nicht überbelegt (10,00 Euro inkl. Dusche, persönliche Bewertung: ****). Kommentar zum Tag: Ein echter Genuss.

15. Tag (Freitag, 31.08.): Reichenau – Lindau (94 km)

Der Campingshop bietet eine gute Auswahl an Brötchen, die natürlich verkostet werden wollen. Dann muss die spätsommerliche Morgenstimmung am See fotografisch fixiert werden. Außerdem soll das Zelt einmal gründlich in der warmen Morgensonne trocknen. Nun ja, es gibt viele Pseudo-Argumente, den Start noch ein wenig hinauszuzögern und so ist es letztendlich kurz vor Mittag, als es wieder auf die Piste geht. Der nächste Zwischenstopp soll in Konstanz sein, liegt also eigentlich gleich „um die Ecke“. Da es in den vergangenen Jahren für eine Besichtigung der Altstadt nie gereicht hat, wird dies heute endlich nachgeholt. Schwer zu finden ist das historische Zentrum nicht, man muss nur den Touristenströmen folgen. Aber es lohnt sich und wer Städte wie Heidelberg mag, wird auch an Konstanz Gefallen finden. Viel altes Gemäuer und Fachwerk, nette kleine Winkel, eine gewisse studentische Szene bedingt durch Uni und Fachhochschule und eine Hafeneinfahrt, die seit 1993 ganz weltmännisch von einer markanten, sich einmal in drei Minuten um die eigene Achse drehenden Statue geziert wird.

Imperia

Imperia
Verlockend grüßt die Edelhure

Im Unterschied zur jugendfrei verhüllten "Liberty" in New York findet sich in Konstanz die nicht jugendfrei enthüllte "Imperia", das 80 Tonnen schwere Abbild einer durchaus wohlgeformten Edelhure, deren Existenz im 15. Jahrhundert tatsächlich belegt ist. Ihr Leben und Wirken wird von Honoré de Balzac unter Ausnutzung dichterischer Freiheiten in die Zeit des Konstanzer Konzils verlegt, womit der Standort in Konstanz, gegenüber dem Konzilsgebäude, eine von den Stadtvätern und dem Künstler offensichtlich beabsichtigte Bedeutung erhält. Und damit dies auch jedem klar wird, hält Imperia in jeder Hand eine Figur: Eine mit den Insignien eines Kaisers, die andere mit der Papstkrone ausgestattet. Kein Wunder, dass die Kirche mit der Aufstellung der Imperia nicht einverstanden war. Interessant ist jedenfalls, dass nicht das Ergebnis des kirchengeschichtlich bedeutsamen Konstanzer Konzils, sondern vielmehr die historisch vielfach belegte Tatsache eines durch zahlreiche Angehörige des horizontalen Gewerbes unterstützten Freizeit- und Begleitprogramms den modernen Geist beeindruckt und zum Nachdenken über viele Dinge anregt. Am frühen Nachmittag geht’s dann weiter, zunächst über die Schweizer Grenze in den Stadtteil Kreuzlingen und dann konsequent auf dem Fernradweg Nr. 2 „Rhein Route“ das südliche Seeufer entlang über Romanshorn, Arbon und Rorschach bis an die Grenze zu Österreich bei Gaißau. Ringsum, insbesondere über den Alpen, türmen sich hohe Wolken, aber am See scheint den ganzen Tag die Sonne bei wohligen 22 Grad und so gibt es dann öfter mal eine Pause. Der Radweg am Südufer ist super beschildert, was aber auch nicht weiter verwundert: Wer Präzisionsuhrwerke baut, schildert auch seine Radwege mit meisterhafter Präzision aus. Und da noch kein Wochenende ist, hält sich der Fahrradverkehr ziemlich in Grenzen. Die gemächliche Reisegeschwindigkeit wird nur dadurch unterbrochen, dass eine radelnde Schulklasse meint, zwischen Romanshorn und Arbon einen kleinen Wettbewerb ausfahren zu müssen. Das Ergebnis? Unentschieden, da die Schulklasse in Arbon eine von der pädagogischen Betreuung vorbereitete Pausenstation anläuft und ich einfach weiterfahre. Ab Gaißau geht’s dann (immer dem Radweg folgend) in Österreich weiter, über Rohrspitz, Fußach und Hard nach Bregenz. Diese Strecke ist zwar ungefähr doppelt so weit wie die direkte Strecke über Höchst, dafür aber um ein Vielfaches schöner und fast ohne Straßenverkehr, also unbedingt empfehlenswert. Und von Bregenz bis zum Campingplatz im Lindauer Ortsteil Zech ist es dann nur noch ein „Katzensprung“. Dieser Campingplatz (10,10 Euro inkl. Dusche, persönliche Bewertung: ****) überzeugt nach wie vor durch seine günstige Lage am Rande der Berge, die perfekte Ausstattung, mustergültige Sauberkeit und die bei schönem Wetter (also heute) geöffnete Strandbar.

Romanshorn

Hafen von Romanshorn

Und so endet der Tag dann mit akustischer Unterstützung durch Mr. Slowhand bei einem Kaltgetränk am Seeufer. Leider findet der Sonnenuntergang wenig romantisch hinter den inzwischen aufgezogenen dichten Wolken statt, die später am Abend und in der Nacht noch einigen Regen bringen. Vor dem Einschlafen werden mir drei Tatsachen bewusst. 1. Bei einer geplanten Dauer von 21 Tagen wird die Tour in sechs Tagen beenden sein. 2. Sechs Tage für eine Alpenquerung hin und zurück sind zwar genug, es bleibt dann jedoch keine Zeit für Touren am Zielort in Norditalien. Und 3. Eine Alpenquerung bei unbeständigem Wetter macht keinen Spaß. Fazit: Ich freunde mich mit dem Gedanken an, dass in Lindau das Ziel der diesjährigen Tour erreicht ist.

16. Tag (Samstag, 01.09.): Easy going und Rundkurs auf den Pfänder (15 km)

See bei Regenwetter

Bodensee bei Regenwetter
Nicht nur in Norddeutschland: nach dem Regen ist vor dem Regen

Am Morgen ist es kühl und regnerisch und die Berge verhüllen sich schamhaft mit vielen grauen Wolken. Bei diesem Anblick fällt es nicht mehr ganz so schwer, die Alpenquerung aus dem Programm der diesjährigen Tour zu streichen und Lindau als Ziel zu akzeptieren. Also geht es nach dem ausgedehnten Frühstück erst einmal zum Erlebnisshopping in die Stadt. Da dies für die Einheimischen wie auch für viele andere Touristen die einzig sinnvolle Beschäftigung zu sein scheint, platzt die romantische Altstadt ein wenig aus den Fugen. Mit der nicht mehr ganz aktuellen ZEIT bewaffnet erobere ich einen zentralen Sitzplatz in der „Röstbar“ am Markt, wo ein hervorragender Espresso aus selbst gebrannten Bohnen gepresst wird. Angeregt durch den doppelten Espresso und mit einem spannenden Blick auf das Marktgeschehen und die vorbeiflanierenden Massen reift so etwas wie ein Anflug von Verständnis für die männlichen Angehörigen diverser südeuropäischer Nationen, die einen wesentlichen Teil ihres Lebens mit dieser nicht wirklich produktiven Tätigkeit verbringen. Mit anderen Worten. Dolce far niente ist angesagt. Passend zu diesem mediterranen Lebensgefühl zeigt sich dann auch die Sonne und sorgt für angenehme 21 Grad am Nachmittag.

Leuchtturm Lindau

Hafeneinfahrt in Lindau
Imperia in Konstanz,
Leuchtturm in Lindau

Während der Sportschau in der ARD, also zwischen Kaffeezeit und Abendessen, geht’s dann kurz auf den Pfänder, den Bregenzer Hausberg. Der ausgeschilderte Wanderweg, auf dem der Anstieg eigentlich erfolgen soll, entpuppt sich tatsächlich als Wander-Weg und nicht als Rad-Weg und ist für Biker an vielen Stellen nur als Downhill-Trail geeignet. Zudem taucht gelegentlich das Gerücht (?) auf, dass die Benutzung der Wanderwege am Pfänder mit dem Bike sowieso grundsätzlich nicht erlaubt sei. Somit werden die letzten Höhenmeter auf der nicht befahrenen Straße genommen. Die Straße beginnt übrigens in Lochau direkt an der Kirche und ist mit „Pfänder“ ausgeschildert. Der Ausblick vom Gasthaus unterhalb des Gipfels auf den Bodensee und die Allgäuer Bergwelt ist super, die rasende Abfahrt auch. Die Schweizer und Österreicher Alpen hüllen sich wie am Vortag in dichteste Wolken. Die Entscheidung, die Alpen nicht mehr zu überqueren, war ganz bestimmt richtig. Oder vielleicht doch nicht? Für den Abend ist ein Kleinkunstauftritt mit dem Zither-Manä und seinem Programm „Solo“ im Lindauer Zeughaus gebucht. Der Zither-Manä singt, wie der Name schon vermuten lässt, zur Zither und verleiht diesem eigentlich recht angestaubten bajuwarischen Instrument einen unglaublich virtuosen Anstrich. So beherrscht er zwar, offensichtlich jedoch nur zum Zwecke der Abschreckung der Zuhörerschaft, selbstverständlich auch den traditionellen Landler, spielt aber viel lieber Rock, Blues und Tango, zumeist mit eigenen, zeit- und gesellschaftskritischen oder auch witzigen Texten. Ein echter Hörspaß.

17. Tag (Sonntag, 02.09.): Musikantentreffen im Ebniter Tal (63 km)

Bregenzer Wald, Allgäuer Berge und der Vorarlberg sind durch einige Touren in den vergangenen Jahren keine unbekannten Regionen mehr. Aber trotzdem gibt es noch viel zu entdecken und mit dem Bike zu erfahren. Und genau das soll das Programm für den heutigen Tag sein: Keine bekannte Tour, z.B. durch das Laternser Tal oder durch das Große Walsertal, sondern die Wahl fällt auf das unscheinbare Ebniter Tal. Dabei dient als Empfehlung ein blaues Sternchen auf der Straßenkarte, was laut Kartenlegende „lohnt einen Umweg“ bedeutet und erfahrungsgemäß auf eine besonders reizvolle Landschaft hinweist. Die Neugier auf Neues ist geweckt, die Sonne scheint (zumindest über dem Bodensee) und so geht es am späten Vormittag über Bregenz nach Dornbirn und dann auf einer schmalen Straße weiter in das schmale Tal der Dornbirner Ache.

Rappenlochschlucht

Rappenlochschlucht im Ebniter Tal
Via Mala im Kleinformat, trotzdem beeindruckend

Ganz unvermittelt wird aus der bis dahin ganz gemütlichen Strecke ein echter Kracher, denn mit 18% Steigung wird die tiefe und enge Rappenloch Schlucht, eine Mischung aus Breitachklamm und einer Miniaturausgabe der Via Mala, umfahren. Mit teils knackigen Steigungen geht es dann weiter durch einige kleine Tunnel und Engstellen mit wunderbaren Ausblicken bis hinauf nach Ebnit, einem nicht weiter sehenswerten Dorf am Ende der bewohnten Welt, in das es aber nichts desto trotz eine bemerkenswerte Anzahl von Tagesausflüglern verschlagen hat. Einen größeren Bekanntheitsgrad dürfte das Dorf bei Geologen haben, denn Ebnit bewegt sich, nicht sinnbildlich, sondern real: Der Heumöser Hang, auf dem Teile des Dorfes erbaut sind, rutscht mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 Zentimetern pro Jahr talwärts. Nachvollziehbar, dass die Einheimischen ein wenig beunruhigt sind, insbesondere deshalb, weil der größte alpine Hangrutsch der letzten Zeit sich nur wenig entfernt in Gryfenbach befindet. Warum rutscht ein Hang zu Tal? Keine Ahnung, die außerordentlichen Regenmengen in dieser Region (über 2.500 mm pro Jahr!) spielen sicherlich eine Rolle. Aber egal, heute regnet es ausnahmsweise nicht. Einen Kilometer nach dem Ortsausgang endet die Straße an einem Gasthaus, dem „Heumöser Stüble“. Und dort wartet ein weiteres kulturelles Highlight, nämlich das an jedem ersten Sonntag im Monat stattfindende Musikantentreffen. Jenseits des Kommerzschrotts á la Musikantenstadel (kotz), Heimatfest der Volksmusik (noch mal kotz) usw. (extra kotz) präsentieren dort Solisten und Gruppen aus der Region handgemachte Musik mit echten Instrumenten, quasi unplugged. Die Stimmung ist riesig und da es weder regnet noch kalt ist findet die Party draußen statt. Spontan fällt die Entscheidung auf Bike abstellen, Pause machen und Radler trinken. Denn wer weiß schon, ob im nächsten Jahr nicht das "Heumöser Stüble" gemeinsam mit dem ganzen Hang in einer großen Schutthalde unten im Tal liegt

Ausgang der Rappenlochschlucht

Am Ausgang der Rappenlochschlucht
Schnell noch mal hinfahren

Neben einem überdimensionierten Einheimischen in ausgelatschten Bergschuhen und abgerissener Kluft (Typ: Urgestein), der soeben eine unglaubliche Portion Schweinefleisch in sich hineinstopft, ist auch noch ein Plätzchen auf der Terrasse frei und so langsam kommt echte Jodelstimmung auf. Da die Sonne inzwischen hinter wabernden Wolken verschwunden ist, geht es nach dem köstlichen Konsum des kühlen Kaltgetränks in flotter Fahrt wieder hinab ins tiefe Tal.

Willi's Badewelt

Willi's Badewelt
Inoffiziell toleriertes unkonventionelles Badeleben

Unten am Bodensee angekommen scheint wieder die Sonne und es herrscht ideales Wetter für einen Besuch in Willi’s Badewelt, einem wild-romantischen, von riesigen Schwarzpappeln gesäumten Uferstück südöstlich der Villa Leuchtenberg, an dem unkonventionelles Badeleben inoffiziell toleriert wird. Willi ist natürlich auch da, ein bisschen dicker als beim letzten Treffen, aber immer noch einem Fläschchen Wein nicht abgeneigt. Der Wasserstand des Sees ist nach den reichlichen Regenfällen der letzten Monate außergewöhnlich hoch und so müssen erst 200 Meter durch knietiefes Wasser watend zurückgelegt werden, bevor die Wassertiefe zum Schwimmen ausreicht. Aber es lohnt sich, das kühle Wasser erfrischt nach der Bergtour ungemein. Der Tag endet, wie könnte es bei schönem Wetter auch anders sein, mit einem wunderbaren Sonnenuntergang und einigen weiteren Kaltgetränken in der Strandbar, wobei das leichte Plätschern des Sees diesmal akustisch durch Lounge- und Ambient-Klänge begleitet wird.

18. Tag (Montag, 03.09.): Fahrt ins Blaue (44 km)

Globalisierung, Farbenlehre und Schulwissen. Die Blaufärberei, also die Gewinnung des Farbstoffs „Blau“ aus Blättern des heimischen Färberwaids, war im Allgäu dereinst ein wesentlicher Wirtschaftszweig. Die Gewinnung des Farbstoffs ist dabei ein langwieriger Prozess und der ganze Vorgang stinkt zum Himmel, da die getrockneten Blätter bei warmem Sommerwetter in menschlichem Urin zum Gären gebracht werden mussten. Der Gärprozess wurde durch die Zugabe von Alkohol beschleunigt, wobei die Färber den Alkohol nicht direkt, sondern indirekt zugegeben haben: Erst wurde ordentlich getrunken und dann der Alkohol über den eigenen Urin der Gärbrühe zugeführt. Wenn die Färber also wieder einmal ordentlich zugelangt hatten und volltrunken in der Sonne lagen, dann waren sie nicht nur „blau“, sondern und es wurde auch „Blau gemacht“. Ein Sommerausflug ins Allgäu, wo wie in vielen anderen ländlichen Regionen der Färberwaid verarbeitet wurde, war also eine „Fahrt ins Blaue“. Wer weiß, ob es stimmt. In jedem Fall ist es aber eine nette Geschichte, bzw. eine der wenigen Erinnerungen an den schulischen Chemieunterricht. Vom blauen Business ist im Allgäu schon längst nichts mehr zu spüren, denn Blau aus Färberwaid konnte durch den ergiebigeren und günstigeren Farbstoff Indigo, der von portugiesischen Händlern aus Indien importiert wurde, ersetzt werden. Zwar wurde anfänglich versucht, mit Protektionismus und Importverboten die heimische Verarbeitung von Färberwaid zu schützen. Allerdings konnte damit die Verbreitung des Indigos nicht wirksam verhindert werden und so wurde die Blaufärberei ein frühes Opfer der Globalisierung. (Da behaupte noch jemand, die Globalisierung sei eine moderne Erscheinung...)  Fortan konzentrierten sich die Bewohner des Allgäus auf die Milchwirtschaft, was trotz teils widriger Umstände auch heute noch ein halbwegs auskömmliches Einkommen sichern kann und der Grund dafür ist, dass es nur im Winter nicht immer und überall nach Gülle stinkt. Und so geht es heute auf „Schnupper"-Kurs ins Allgäu, allerdings erst am Mittag, da sich zunächst einige tief hängende Wolken verziehen müssen. Das Wetter stimmt sowieso ein wenig bedenklich: Es ist schwül-warm bei 25 Grad und von Nordwesten ziehen verdächtig viele Wolken auf, ein guter Grund, um das Regenzeug einzupacken. Für alle Fälle ausgerüstet geht es sodann über Bregenz hinauf nach Fluh, einer verschlafenen Ansammlung von Häusern mit Bushaltestelle und Hausbrennerei, dann stürmisch hinab nach Langen und Scheffau, wiederum mit mehreren Anstiegen hinauf nach Scheidegg und anschließend über Weienried, Leutenhofen und Hörbranz wieder hinunter zum Bodensee. Die Strecke bietet zwischen Leutenhofen und Hörbranz einige schöne Aussichtspunkte auf den Bodensee, die aber alle nicht zum Verweilen einladen, da es in Scheidegg zu regnen beginnt und die Temperatur inzwischen ordentlich gefallen ist. Bei schönerem Wetter wäre die Tour vielleicht noch ein bisschen ausgedehnt worden, aber so bleibt es bei diesem recht kurzen Ausflug ins nicht mehr Blaue. Kurze Zeit nach der Rückkehr setzt kräftiger Dauerregen ein, der Tag endet also leider nicht in der Strandbar.

19. Tag (Dienstag, 04.09.): Pfänder zum Zweiten (19 km)

Das Wetter ist den ganzen Tag über sehr wechselhaft, nervt mit häufigen und kräftigen Schauern und Temperaturen unter 15 Grad. Für einen bekennenden Warmduscher, der zudem noch in einem (ungeheizten) Zelt sitzt, ist dies schon demotivierend kühl.

vor dem Gewitter am Pfänder

Vor dem Gewitter am Pfänder
Gut, wenn jetzt ein Gebäude in der Nähe ist...

Erst zum Abend scheint gelegentlich auch mal die Sonne und in solch einer Regenpause geht’s dann mit einem leichten Kakao-Pfeffer-Doping noch einmal auf den Pfänder. Auf halber Höhe ist jedoch eine Zwangspause fällig, da eine seit geraumer Zeit beobachtete Wolke dummerweise ihre Richtung ändert und sich als ein ausgewachsenes Gewitter präsentiert. Sehr beeindruckend ist das Heranrollen einer Böenwalze, da zunächst der Wind kräftig aus der „falschen“ Richtung weht und sich dann urplötzlich um 180 Grad dreht. Aber auch der Einschlag einiger Blitze in der Nähe und kräftiger Hagel sorgen für stimmungsvolle Unterhaltung. Zum Glück ist ein Geräteschuppen in der Nähe, so dass das Schauspiel zwar nicht bequem, aber trocken und aus der ersten Reihe verfolgt werden kann.

nach dem Gewitter auf dem Pfänder

Nach dem Gewitter auf dem Pfänder
Völlige Stille und Imperia am Horizont

Nach einer dreiviertel Stunde kann die Fahrt dann fortgesetzt werden und als Belohnung warten ein traumhafter Ausblick auf den Bodensee und völlige Stille nach einem beeindruckenden Sonnenuntergang. Die Abfahrt wird zu einem guten Wintertraining, da die Temperatur nur noch 4 Grad beträgt und trotz Pullover und Windjacke die Kälte heftig an Beinen und Fingerkuppen knabbert und zu einem Zustand der Willenlosigkeit bei gleichzeitig einsetzender Kältestarre führt. Das Klappern und Schlottern lässt erst nach einer halben Stunde Hochtemperaturdauerduschen nach und auch das Gehirn nimmt seine ordnungsgemäße Tätigkeit nur langsam wieder auf. Das war’s also, die Sommersaison ist definitiv zu Ende.

20. Tag (Mittwoch, 05.09.): November (0 km)

Park Camping in Lindau

Park Camping in Lindau
Viel Platz bei 10 Grad und Hagelschauern

„Getz iss aber wirklich juht“, würde der Westfale sagen. Denn häufige Schauer und Spitzentemperaturen um 10 Grad sind im Zelt kein Sommerspaß mehr, sondern erinnern an November in Norddeutschland. Zur Stimmungsverbesserung und zum Abschied gibt’s nicht nur den Rest der pfeffrigen Schokolade, sondern am Nachmittag noch einen doppelten Espresso in der „Röstbar“, die ausnahmsweise einmal zu Fuß und nicht mit dem Bike aufgesucht wird. Letztendlich war die Entscheidung richtig, nicht mehr über die Alpen zu fahren, da die Schneegrenze inzwischen auf 1.200 Meter gesunken ist. Auch wenn die Wetterprognose für das Wochenende eine Wetterberuhigung vorhersagt, morgen geht’s nach Hause! Und zwar mit Fahrradkarte und dem Sparbrötchen-Ticket der Bahn in sensationellen 13 Stunden, ätz. So isses!

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