4. Tag (Freitag, 15.08.): Melsungen - Fulda, 122 km

Der morgendliche Dunst liegt noch über dem Campingplatz als ich kurz nach 6 Uhr die vom Frühtau nasse Zeltbahn lüfte, um mich vom Zustand des Wetters zu überzeugen. Die Wetterprognose vom vorigen Abend noch im Gedächtnis, erblicke ich einen einheitlich dunkelgrauen Himmel mit bedenklich tief hängenden Wolken, der so aussieht, als ob der prognostizierte Dauerregen jeden Moment beginnt. Ohne weiter zu zaudern transportiere ich meine Ausrüstung zum überdachten Essplatz, der zwar völlig verdreckt ist, aber bei Regen klare Vorteile verspricht. Solche Aktionen vor einem ordentlichen Frühstück sind mir eigentlich völlig zuwider und im Normalfall bin ich zu körperlichen Aktivitäten erst nach einer Nahrungsaufnahme bereit. "Der frühe Vogel fängt den Wurm", lautet bekanntlich ein von berufstätigen Menschen oftmals zitierter Spruch, wenn sie meine Unwilligkeit zu früher Stunde bemerken. Jawohl, dem kann ja durchaus so sein. Aber das Leben geht weiter und ich halte allen Früharbeitern entgegen: "Und die späte Katze frisst den Vogel!" Und nun frage ich, wer ist jetzt besser dran? Der am frühen Morgen bereits satt gefressene, deshalb träge und unvorsichtige Vogel oder die Katze, die einen wohlgenährten Vogel frühestens zum Lunch verspeist? Als Katzenfan bevorzuge ich eher die späte Stunde, die Studies können anlässlich der regelmäßigen Abendvorlesungen, die weit jenseits der Arbeitszeiten im Öffentlichen Dienst liegen, ein Lied davon singen.

Der Uhrzeit zum Trotz ist das Zelt jedoch in Rekordgeschwindigkeit abgebaut und die nasse Zeltbahn auf einer Wäscheleine zwischen zwei Bäumen aufgespannt. Das Frühstück schmeckt nach dieser Morgengymnastik richtig gut, auch die ekelig dreckige Umgebung kann mich nicht beeindrucken. Meine Laune bessert sich zudem von Minute zu Minute, denn allen Prognosen und Befürchtungen zum Trotz beginnt es dann doch nicht zu regnen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Es regnet den ganzen Tag über nicht einen Tropfen. Und was ich noch ausdrücklich klar stellen will: Als Autorität in Sachen Wetter ist donnerwetter.de für mich gestorben. Weitersagen!

Nach dem Frühstück geht es dann weiter auf dem Fuldaradweg bis zum ersten Zwischenstopp in Rotenburg a. d. Fulda. Auch dieses Städtchen entpuppt sich im Kern als eine Ansammlung von gut gepflegten Fachwerkhäusern, ist aber im Vergleich zu Hann. Münden nicht wirklich sensationell und ich beschließe nach nur kurzem Aufenthalt weiter zu fahren. Der Radweg ist, vergleichbar mit dem Abschnitt am Vortag, nicht immer gepflegt und asphaltiert, führt aber zumeist abseits der Straßen durch verschlafene Dörfer und die Hügel des Hessischen Berglandes. Zudem ist er perfekt ausgeschildert. Zumindest ist das mein Eindruck bis Bad Hersfeld, denn dort verfranse ich mich hoffnungslos. Auch im Nachhinein habe ich keine Ahnung, wo der Blindflug seinen Anfang nahm. Wahrscheinlich war die Entscheidung falsch, nicht durch die Stadtmitte zu fahren, denn ich finde mich auf einem Holperradweg wieder, der ganz idyllisch und mit viel Liebe zwischen einer brutal befahrenen Umgehungsstraße und einigen abgewrackten Gewerbegebieten angelegt wurde. Nachdem ich eine Autobahn unterquert habe und der weitere Verlauf der Straße eindeutig aus dem Fuldatal hinaus und auf einen Berg hinauf führt, bin ich mehr als nur marginal irritiert. Was tut -frei nach Allan und Barbara Pease- Mann in solch einer Situation? Augen geradeaus und weiterfahren, wird schon gut gehen. Und was tut Frau? Anhalten und fragen.

Ich entscheide mich für die weibliche Verhaltensweise und frage den ersten Radfahrer, der sich erdreistet, mich auf einer Steigungsstrecke zu überholen. Und siehe da: Die Entscheidung war goldrichtig, denn der Radler erweist sich als extrem ortskundig und schickt mich mit einer an Präzision nicht zu überbietenden Beschreibung auf einen Waldweg, der mich direkt und auch noch landschaftlich sehr reizvoll zurück ins Fuldatal führt. Ich begrüße den Fluss in der Höhe Kohlhausen mit einem nordischen "Moin" und stelle fest, dass sich meine Laune schlagartig wieder auf Topniveau verbessert hat.

Die Weiterfahrt auf dem Fuldaradweg ist unspektakulär und entspannend, der Weg führt durch eine zumeist sehr ländliche Umgebung und nach einigen Kilometern ist dann Fulda erreicht. "Endlich mal wieder eine Stadt", denke ich und gönne mir einen Schlenker vorbei am Dom und durch die ziemlich belebte Fußgängerzone. Der Anblick eines von mir bevorzugten Discounters erinnert mich daran, dass ich ziemlichen Hunger habe und so belade ich einen Einkaufswagen mit allerlei gesunden und ungesunden Lebensmitteln. Bei dieser Gelegenheit wird mir auch klar, dass ich für heute eigentlich genug gefahren bin. Also geht es weiter zum Campingplatz in Rothemann, südlich von Fulda an der B 27 gelegen. Aber nicht auf dem direkten Wege, das wäre ja langweilig, sondern zunächst auf dem Fuldaradweg bis Welkers und dann über einen Hügel bis zum Ziel. Dabei erhasche ich bei inzwischen aufgeklartem Himmel einen schönen Blick auf die Wasserkuppe und einige Berge der Rhön. Der Campingplatz ist mir von einem Besuch vor einigen Jahren bereits bekannt (6,60 Euro inkl. Dusche, ** in der subjektiven Campingwertung), der Betreiber ist nach wie vor ein netter älterer Herr, der immer Zeit für einen kleinen Plausch und kühles Bier im Vorrat hat. Kurzum, ich fühle mich wohl und genieße eine ausgiebige Dusche, das in Fulda eingekaufte Abendessen und die Abendsonne.