7. Tag (Montag, 18.08.): Bamberg - Beilngries, 146 km

Ich scheine mit zunehmendem Alter wetterfühlig zu werden und vertrage das Sommerwetter offensichtlich nicht mehr so gut. Anders kann ich mir die ungewohnte Benommenheit am Morgen nicht erklären. Zudem bin ich leicht genervt von der Dauerbeschnatterung einer Entengroßfamilie, die sich bereits vor Sonnenaufgang auf der Suche nach essbaren Überresten vergangener Mahlzeiten über den Campingplatz bewegt. Ich denke beim Frühstück intensiv über die Tagesetappe nach, erinnere mich an das Thema "SÜDEN" und verwerfe deshalb alle Ideen, die auf eine Querung der Oberpfalz mit Ziel Bayerischer Wald und Regensburg / Passau hinaus laufen. Stattdessen trete ich kräftig in die Pedale und benutze die Uferwege auf beiden Seiten des Main-Donau-Kanals als Fahrradschnellstrecke ins Altmühltal. Auch diese Strecke, zukünftige ein Teilstück der D-Route 11?, ist mir bereits aus den Vorjahren bekannt und ich kann die Fahrradkarte getrost wegpacken.

Bis Nürnberg verläuft der Kanal im Tal der Regnitz und die Strecke führt durch Felder und Wiesen, vorbei an Forchheim und vielen kleineren Städten und Dörfern. Ab Fürth ist es jedoch mit der fränkischen Beschaulichkeit vorbei und den Kanal säumen gruselige Hochhauswohnsiedlungen, Industrie- und Gewerbegebiete, lärmende Hafenanlagen und die ein oder andere Autobahn und Schnellstraße. Richtig erkannt, das Fahren auf diesem Teilstück ist kein wirklicher Genuss. Beschauliche Ruhe herrscht nur auf dem Main-Donau-Kanal und ich stelle mir nicht zum ersten Mal die Frage, welche wirtschaftliche Bedeutung dieses Großbauwerk eigentlich hat: Auf dem Kanalstück zwischen Bamberg und Nürnberg sehe ich lediglich vier Schiffe.

Im Kanalhafen von Nürnberg fallen mir dann noch drei Flusskreuzfahrer auf. Diese Ungetüme erinnern weniger an ein Schiff als vielmehr an einen rechteckigen Schwimmponton, auf dem ein ein- oder zweistöckiges Hotel steht und der durch ein Schubboot in Bewegung gebracht wird. Die Kreuzfahrer ähneln sich, zumindest äußerlich, recht stark: Es gibt keine Innenkabinen, sondern nur Außenkabinen mit einem kleinen Freisitz vor dem großen, von der Decke bis zum Boden reichenden Fenster. Am Bug befindet sich ein großes Freideck mit in Reih und Glied aufgestellten Stühlen, von wo aus die Landschaft in Fahrtrichtung beobachtet werden kann. Am Heck ist der Speisesaal zu erkennen. Später am Nachmittag überhole ich einen Kreuzfahrer während der Fahrt. Auf den Freisitzen oder hinter den Kabinenfenstern sitzen zumeist erkennbar ältere Menschen, teilweise im Unterhemd oder mit bloßem, lederbraunen Oberkörper, auf dem Freideck werden Getränke gereicht und im Speisesaal ist eine größere Anzahl von schwarzweiß gekleideten jüngeren Menschen damit beschäftigt, das Abendessen vorzubereiten. Ich kann mir kaum vorstellen, jemals so alt zu werden, dass ich so etwas ohne Zwang oder fürstliche Belohnung mitmache.

Südlich von Nürnberg verlässt der Kanal das natürliche Flusstal und wird durch eine hügelige und wenig besiedelte Landschaft geführt. Ein Highlight ist die Überquerung eines Taleinschnitts, denn Kanal und Radweg werden zur Abwechselung mal auf einer Brücke geführt, womit sich Radlern und Flusskreuzfahrern ein schöner Ausblick auf die umliegende Landschaft bietet. Der Radweg folgt weiterhin dem Betriebsweg der Kanalgesellschaft, ich fahre also abgesehen von kurzen Steigungen an den Kanalschleusen auf völlig ebener Strecke entspannt und ohne großartige Anstrengungen durch die Landschaft. Mein rechtes Knie, am Vortag noch fühlbar irritiert über die ungewohnte Dauerbelastung, ist erfreut und hält sich mit Schmerzen zurück.

Der Höhenunterschied von 94 Metern bis zum Scheitelpunkt des Kanals bei Hilpoltstein wird durch vier gigantische Schleusenbauwerke überwunden, von denen drei eine jeweilige Hubhöhe von 25 Metern haben und damit die höchsten bisher in Deutschland gebauten Schleusen sind. Damit der Kanal nicht austrocknet ist die Zuführung von Wasser erforderlich und dafür wurde auf der Scheitelhöhe der Rothsee als Zwischenspeicher aufgestaut. Gespeist wird der Rothsee im Normalfall durch Wasser aus der Donau, wozu aufgrund der Höhendifferenz der Einsatz von Pumpen erforderlich ist. Sofern die Donau Niedrigwasser führt und ihr kein Wasser entnommen werden kann, wird der Rothsee mit Wasser aus der Brombachtalsperre bei Gunzenhausen aufgefüllt, die wiederum mit Hilfe eines Überleitungssystems aus Hochwässern der Altmühl versorgt wird. Der Rothsee ist damit ein Bestandteil des komplexen Bewässerungssystems "Neues Fränkisches Seenland", mit dem nicht nur der Main-Donau Kanal gespeist, sondern auch ganz gezielt Wasser aus den niederschlagsreichen Regionen in Südbayern in die niederschlagsarmen Gebiete an Main und Regnitz umgeleitet wird.

Im Hinblick auf die vielfältigen Vorbehalte der "Franken" im Norden gegenüber den "Bayern" im Süden (und selbstverständlich auch vice versa) ist der Main-Donau Kanal in einem völlig anderen Licht zu sehen: Die "Bayern" versorgen die "Franken" mit in trockenen Sommern dringend benötigtem Wasser und leisten tätige und barmherzige Hilfe, indem sie den Main-Donau Kanal als überdimensionale Wasserleitung benutzen. Damit bleibt der Kanal zwar eine infrastrukturelle Fehlinvestition, bekommt aber eine übergeordnete Bedeutung für das Zusammenwachsen der "Völker" im "Vielvölker-Freistaat" Bayern. Diese Erkenntnis ist nicht unbedingt deckungsgleich mit den offiziellen Stellungnahmen der Befürworter und Kritiker des Main-Donau Kanals und für einen schlickrutschenden "Fischkopf" könnte dies alles ein wenig abwegig klingen. Ist es aber nicht, ganz sicher!

Mich interessiert der Rothsee heute aus einem anderen Grund ganz besonders: Nach einigen Stunden Fahrt auf dem fein geschotterten Uferweg bei 27 Grad und Dauerbesonnung bin ich verschwitzt und ziemlich dreckig und der Badestrand bei Heuberg ist genau der richtige Platz für einen Zwischenstopp und ein erfrischendes Bad. Also nichts wie raus aus den Klamotten und rein in den See, super! Im Hinblick auf die hydrologischen Verhältnisse im "Neuen Fränkischen Seenland" habe ich also in der Donau, evtl. auch ein bisschen in der Altmühl gebadet. Einen ausgedehnten Bade- und Sonnenstopp kann ich mir aus zeitlichen Gründen jedoch nicht erlauben, denn es sind noch einige Kilometer bis zum Tagesziel im Altmühltal zu fahren.

Ich erreiche den Campingplatz "An der Altmühl" (subjektive Wertung: ***, 9,60 Euro inkl. Dusche) in Beilngries um kurz vor 20 Uhr und suche mir einen schönen Platz für die Übernachtung direkt am Fluss. Als Mitcamper identifiziere ich eine auffallend große Anzahl von Familien, die mit kleinen Kindern den "Radfernweg Altmühltal" befahren, da dieser Radweg als besonders familienfreundlich und kindgerecht gilt. Kinder sind ja nett und lustig und für den Erhalt der Gattung "Mensch" sogar zwingend erforderlich. Aber auf einem Radweg sind die "kleinen Scheißer" (O-Ton eines nicht mehr ganz so kleinen Scheißers) ein erhebliches Sicherheitsrisiko für alle, die nicht mit kindgerechter Geschwindigkeit fahren und eventuell sogar überholen wollen. Eine Weiterfahrt auf diesem Radweg scheidet also kategorisch aus. Alternativ kläre ich per Telefon eine Übernachtungsmöglichkeit bei Guido in München, wo ich mit ein wenig Gestrampel am nächsten Tag aufschlagen werde. Womit die Frage nach dem nächsten Ziel geklärt wäre.

Nach der ausgiebigen Dusche (alles ok in Bad und WC) verwöhne ich meine sonnengerötete Haut mit erlesenen Pflegeprodukten und lege eine Schweigeminute für die Daheimgebliebenen ein, die sich am heutigen Tag bei 19 Grad und Dauerregen gut auf die Arbeit konzentrieren konnten. Rein verwaltungstechnisch bereits in Oberbayern angekommen, fühle ich mich schon ein bisschen südlich und schlafe beruhigt ein.