14. Tag (Montag, 25.08.): Mittenwald - Landeck, 95 km

Nun heißt es Abschied nehmen, von meiner "reißenden" Begleiterin, denn egal wie ich weiter fahre: Die Isar wird nicht mehr meinen Weg säumen. Weiter bedeutet für heute: Landeck. Denn beim Frühstück habe ich mir überlegt, durch das Engadin zum Lago di Como zu fahren und das Tagesziel soll Landeck im Inntal sein. In Mittenwald verlasse ich also das Tal der Isar, die den Abschied mit einem bedauernden Gurgeln und Rauschen kommentiert, um mich auf den Weg hinauf in das höher gelegene Leutaschtal zu machen. Die Ruhe oberhalb der Leutaschklamm wird nur durch wenige Autos gestört, aber an der Leutaschbrücke am Beginn des Tals ist erst einmal ein Stopp erforderlich: Die Leutaschbrücke ist gesperrt, weil ein Hydraulikkran die gesamte Straße blockiert.

Was ist da eigentlich los? Filmaufnahmen, wie ich sofort von der Crew erfahre, offensichtlich irgend so ein Ganghofer-Mist. Neben der Straßenbrücke ist aus Holz eine schmale Fußgängerbrücke über die donnernde Leutasch gebaut worden, auf der sich zwei Schauspieler in historischen Kostümen prügeln sollen. Wahrscheinlich geht es um die Gunst der Zenzi oder einer anderen paarungsbereiten Almbraut, ist mir aber auch egal. Jedenfalls sieht das Drehbuch vor, dass einer der beiden testosterongedopten Streithähne in die Leutasch stürzt. Ganz sicher wird dieser bedauernswerte Schauspieler einen Kälteschock erleiden. Damit er nicht zusätzlich auch noch ganz real ums Leben kommt, weil er mit dem Kopf auf einem Felsen aufschlägt oder mit dem Hals in einem Unterwasserhindernis hängen bleibt, muss die Leutasch an dieser Stelle von allen Hindernissen befreit werden. Deshalb also der Hydraulikkran, der mit Hilfe eines Tauchers alle gefährlich erscheinenden Gegenstände aus dem Bett der Leutasch zieht, und deshalb die Straßensperre. Erstaunlich ist, dass sich bei den wartenden Auto- und Motorradfahrern kein Unmut regt. Alle sehen interessiert bei den Aufräumarbeiten zu, machen unsinnige Fotos und haben offensichtlich Ruhe und Muße. Die habe ich im Prinzip auch, allerdings langweile ich mich auf die Dauer und so nutze ich einen Augenblick, in dem die Crew mit anderen Dingen beschäftigt ist, um mich mit dem Rad am Hydraulikkran vorbeizuschlängeln. Und das ist eigentlich eine sehr gute Entscheidung, denn durch die Sperrung der Brücke ist das Leutaschtal nun frei von Fahrzeugen aus Richtung Deutschland und ich habe die Straße fast für mich alleine.

Das Tal ist platt wie eine Schüssel, lediglich am Ende des Tals in Richtung Telfs warte eine Anhöhe, quasi ein kleiner Pass, darauf überquert zu werden. Und dann geht es in schneller Fahrt (Spitzengeschwindigkeit 67,4 km/h) hinab nach Telfs im Inntal. Die Stadt erscheint mir nicht besonders interessant und so verbringe ich mehr Zeit mit der Sichtung des brotzeitgeeigneten Lebensmittelangebots beim Hofer, dem österreichischen ALDI, als mit der Stadtbesichtigung. Am meisten Zeit verbringe ich jedoch damit, den Inntalradweg zu finden, denn leider schicken mich zwei befragte Passanten zunächst auf der falschen Seite des Flusses weiter. Noch einmal fragen, umkehren bis zur Innbrücke in Telfs, den Inn überqueren, und schon bin ich bereits eine halbe Stunde später auf dem Radweg.

Der Zustand des Radweges ist ausgezeichnet, die Streckenführung fast immer separiert von stärker befahrenen Straßen und meist nahe am Fluss. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass das Inntal von Telfs bis Landeck eine Hauptverkehrsader ist, die nicht nur schlauchbootfahrenden Flussabenteuertouristen, sondern auch der Autobahn Innsbruck - Bregenz, Haupt- und Nebenstraßen, der Bahnlinie und nicht zu vergessen auch dem Radweg Platz geben muss. Es lässt sich also bei der Streckenführung eine störende Nähe zu einem dieser Verkehrswege nicht immer vermeiden, insbesondere nicht in den Engstellen des Tals. Großes Manko: Der Inntalradweg ist mit ca. 500 km Länge zwar einer der großen europäischen Fernradwege, die Beschilderung ist jedoch gelegentlich eine Katastrophe. Dies ist insbesondere dann störend, wenn auch die Karte keine eindeutige Aussage macht und selbst Einheimische überfragt sind. Bei der Planung von Touren auf diesem Radweg sollte also nicht nur Zeit für das zielorientierte Fahren und für Pausen, sondern auch für Testfahrten einkalkuliert werden, die unter Umständen vor einem Steilufer oder am Fuße eines Autobahndamms enden. Mein Tipp für die Verantwortlichen: Lasst den Job von jemandem machen, der auch etwas davon versteht, und engagiert ein paar Experten des vorbildlichen Projektes "Veloland Schweiz" oder aus Norddeutschland. Ich versuche, dem ganzen Hin und Her auch positive Seiten abzugewinnen, denn schließlich wird auf diese Art die Kommunikation mit anderen Radlern und mit Einheimischen gefordert und gefördert.

Bei der Einmündung der Ötztaler Ache in den Inn erscheinen kurz noch einmal Engelchen und Teufelchen auf meiner Schulter und beginnen ein Streitgespräch über eine mögliche Streckenänderung durch das Ötztal und über das Timmelsjoch. Es gelingt mir jedoch, die beiden mit adaptierter norddeutscher Trägheit zu ignorieren und ohne Zögern bis zum Campingplatz "Riffler" mitten in Landeck (10,80 Euro inkl. Dusche für subjektiv empfundene ***) weiterzufahren, allerdings nicht ohne mich noch einmal wegen irreführender Beschilderung zu verfahren.