11. Tag (Mittwoch, 4.08.): Stilfser Joch

Der Blick morgens aus dem Zelt zeigt strahlend blauen Himmel, eine super Fernsicht und nur wenige Wolken. Der Entschluss ist schnell gefasst: Wir fahren heute auf das Stilfser Joch. Aber ohne Hektik, d.h. erst wird einmal gemütlich gefrühstückt, dann alles aufgeräumt, noch einer dieser brutal starken Espressi getrunken und dann geht es los. "Dann fahrt ihr ja in der vollen Mittagshitze", gibt die freundliche Blonde von der Rezeption zu bedenken. "Kein Problem", entgegne ich, "dort oben wird es trotz allem ziemlich kalt sein." Aber sie hat natürlich Recht, und die ersten Kilometer bis Trafoi sind ganz schön schweißtreibend. Glücklicherweise gibt es einige Brunnen direkt an der Strecke, so dass wir uns zwischendurch erfrischen können.

48 (!) Kehren sind zu bewältigen, mit denen wir uns bis zur Passhöhe in 2.760 Metern Höhe den Berg hinaufschrauben. Die Ausblicke auf den Ortler und den Gletscher sind überwältigend, die Strecke gilt zu Recht als ein touristisches Highlight und als ein Meisterwerk des Straßenbaus. Leider wissen nur zu viele Menschen von dieser seltenen Schönheit und so ist der Straßenverkehr zeitweise echt nervig. Dabei sind es nicht die Autofahrer, sondern wieder einmal die Organspender auf zwei motorisierten Rädern, die gelegentlich mit dem Anspruch angetreten sind, die Bergwertung zu gewinnen, ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer, Motorschaden oder das eigene Leben. Ich hoffe, dass diese Idioten alle einen Organspenderausweis mit sich tragen, damit sie wenigstens nach ihrem Ableben noch zu etwas zu gebrauchen sind.

Die Baumgrenze ist im Bereich des Hotels "Franzenshöhe" in ca. 2.200 Metern erreicht. Nun eröffnet sich auch der Blick auf das letzte Teilstück der Passstraße und die Passhöhe. Immerhin gut 500 Höhenmeter liegen nun noch vor uns und die Straße ist mit mehr als 20 Kehren in den steilen Hang hineingebaut. Wuffel hat so ihre Zweifel, ob sie dieses letzte Teilstück noch schafft, möchte aber in keinem Fall hier umdrehen, und so schwingt sie sich wieder in den Sattel. Wir fahren nun getrennt, jeder in seinem eigenen Tempo, und erreichen die Passhöhe mit wenigen Minuten Abstand um 16:30 Uhr. Einige in der Nähe stehende Biker klatschen bei Wuffels Ankunft, junge Mädchen auf einem Mountainbike werden offensichtlich nur selten hier oben gesichtet. Die Freude über ihre Leistung ist jedenfalls riesig und wir fallen uns in die Arme.

Mir war bekannt, dass sich auf der Passhöhe einige Hotels und eine Seilbahnstation befinden. Nicht erwartet hatte ich allerdings diesen Trubel, der sich rings um uns herum zeigt: Andenkenläden, Sportshops, Restaurants, Grillstände, Tische und Bänke und ziemlich viele Menschen. Der frische Grillduft erinnert an Hunger und so genehmigt sich Wuffel erst einmal ein rustikales Wurstbrötchen mit Sauerkraut. Die Fernsicht ist trotz einiger Wolken grandios und die Sonne wärmt wohltuend. Trotzdem kramen wir unsere Pullover hervor und ziehen zusätzlich noch die Regenjacken an. Direkt in der Nähe sind einige größere Schneefelder, die spürbare Kälte verbreiten, und wir nutzen die Gelegenheit für ein paar Schneefotos. Nicht, dass Schnee nach diesem endlosen Winter hochgradig interessant wäre, aber Schnee im Hochsommer ist doch schon etwas Besonderes.

Für die Abfahrt wählen wir den Umbrail-Pass, der bei Sta. Maria in das Münstertal führt. Diese Strecke ist zwar weiter als der Weg durch das Trafoital, aber wir haben beide keine Lust darauf, dieselbe Strecke wieder zurück zu fahren. Das Wetter steht zwar kurz vor dem angekündigten Umschwung und die Wolkenbildung deutet schon auf Regen hin, dennoch hoffen wir, vorher wieder in Prad zu sein.

Auf einer Bergwiese unterhalb des Stilfser Jochs bemerken wir kleine braune Fellknäuel, die schnell hin- und herlaufen, kurz anhalten und dann wieder weiterlaufen: Murmeltiere! Diese niedlichen Bewohner der höheren Bergregionen habe ich am Stilfser Joch schon häufiger beobachten können, gelegentlich sogar aus nächster Nähe, da sie sich offensichtlich an den Fahrzeugverkehr auf der Passstraße gewöhnt haben. Die hier gesichtete Murmel-Gang ist jedoch ziemlich scheu und hält sich auf so großer Distanz, dass ein Foto leider nicht lohnt. Trotzdem ist Wuffel begeistert, hat sie doch Murmeltiere noch nie life gesehen.

Auf der Höhe des Umbrail-Passes überqueren wir an einem nicht besetzten Übergang die schweizer Grenze und dann geht es in schneller Fahrt hinab ins Münstertal. Geschwindigkeitsrekorde werden auf dieser Strecke jedoch nicht gebrochen, denn zahlreiche, sehr enge Kehren und die teilweise schlechte Beschaffenheit der meist einspurigen Straße mit buckeligem Asphalt oder Schotter zwingen zum Abbremsen. Der Verkehr ist nur gering, uns begegnen drei Autos und fünf Motorräder, und zwar alle mit angepasster Geschwindigkeit und umsichtiger Fahrweise. Welch ein Unterschied zum Stilfser Joch! Ich fahre den Umrbrail-Pass nun zum dritten Mal und ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass es sich um einen der schönsten Pässe handelt.

Ab Sta. Maria geht es weiter auf einer wenig befahrenen Straße hinab ins Etschtal und selbstverständlich muss auch wieder die schweizer Grenze, diesmal an einem "richtigen", d.h. besetzten, Grenzübergang überquert werden. In Glurns treffen wir den Etschtalradweg und schon bald sind wir wieder in Prad.

Es ist nun schon bedrohlich dunkel geworden und vom oberen Etschtal zieht Regen heran, aber noch bleibt Zeit, das Zelt mit einer "gefundenen", großformatigen Plane gegen den angekündigten Dauerregen zu sichern. Und was machen wir heute abend? Après Bike ist angesagt, denn es ist Mittwoch und wie jeden Mittwoch findet in der Bar des Freibades das Candlelight-Disco-Grillen statt. Zum Grillen sind wir leider zu spät, aber für einige Belohnungsbiere bei guter Musik ist der Abend noch früh genug. Zwischendurch regnet es mal für eine Stunde und wir sind gespannt, ob die Regensicherung des Zeltes gewirkt hat. Und tatsächlich, das Zelt ist so gut wie trocken, als wir um Mitternacht in die Schlafsäcke krabbeln. Am frühen Morgen beginnt der Regen dann von Neuem, aber wir lassen uns nicht irritieren und schlafen in Ruhe weiter.