19. Tag (Donnerstag, 12.08.): Torbole 

Erst ist es nur ein normales Geräusch, das wie viele Geräusche nicht identifiziert im Hintergrund verbleibt und den Lauf der Dinge nicht stört. Es könnte der Verkehr auf einer entfernten Autobahn sein, das Rauschen des Windes in den Ästen eines Baumes oder das Plätschern eines kleines Baches. Dann jedoch schwillt dieses Geräusch an, wird lauter und lauter und endet schließlich in einem ohrenbetäubenden Lärm, der wie eine tosende Brandung alles andere überrollt, die Luft zum Atmen nimmt und die Welt zum Stillstand bringt. Schweißgebadet und mit klopfendem Herzen wache ich auf. Wo bin ich? Was ist hier los? Was ist das für ein Lärm?

Nach ein paar Sekunden komme ich in der Realität an und mir wird bewusst: Ich kenne diesen Lärm. Denn mitten in einem Traum werde ich nun schon zum dritten Mal auf dieser Tour von prasselndem Regen geweckt. Es rauscht so laut vom Himmel, dass ich mich eilends aus dem Schlafsack schäle, die Regenplane hervor krame und nach draußen in den Regen springe, um die Plane über das Zelt zu werfen und zu befestigen. Der Stellplatz ist für dieses Wetter ein echter Glücksfall, denn die Kiefer hält den meisten Regen zunächst noch ab und ich kann halbwegs trocken die Regenplane befestigen. Jetzt schnell noch die Handtücher von der Wäscheleine nehmen und dann krieche ich beruhigt wieder in den Schlafsack. Mit der Gewissheit, dass unser Schönwetterzelt nun regendicht ist, schlafe ich nach einiger Zeit wieder ein.

Eine Stunde später bin ich dann wieder wach. Der Regen ist inzwischen so dermaßen kräftig geworden, dass sich in der "Küche", dem Zwischenraum zwischen unseren Zelthälften, ein See gebildet hat, dessen Pegelstand bedrohlich zunimmt. Ich wecke Wuffel und wir packen unsere Utensilien wasserdicht in die Packtaschen. Denn wenn der Pegelstand den zehn Zentimeter hohen Rand des Innenzeltes übersteigt, saufen wir unweigerlich ab und wir haben absolut keine Lust darauf, komplett nass zu werden. Gegen 6 Uhr wird der Regen schwächer und der Pegelstand geht zurück. Glück gehabt! Bei einem Gang auf die Toilette entdecken wir, dass größere Teile des Campingplatzes inzwischen einer Seenlandschaft gleichen, der nächtliche Regen hat ganz sicher mehr als die in der Wettervorhersage angekündigten vier bis fünf Liter Wasser pro Quadratmeter gebracht.

Um 8 Uhr hört der Regen auf. Während Wuffel sich wieder in ihren Schlafsack kuschelt um Schlaf nachzuholen, greife ich mir den Stieg Larsson und lese erst einmal 100 spannende Seiten. Später verkrieche ich mich dann mit dem PC zum Espresso in die Campingbar, denn so wird auch ein Regentag "echt" italienisch.

Erst am Mittag lässt sich die Sonne wieder blicken, so dass alle feuchten Sachen schnell getrocknet sowie der Vorrat an Nahrungsmitteln mit einem Einkauf im nahen Coop aufgestockt werden kann. Auf irgendwelche Radtouren haben wir beide keine Lust und so verbringen wir auch den restlichen Tag mit gammeln. Am Abend nehme ich noch ein Bad im See, der einige Grad abgekühlt ist. Trotzdem ist das Baden wiederum ein Genuss, da es absolut keine Wellen gibt und das Wasser sehr klar ist.

Die Niederschlagsprognose für die Nacht ist übrigens katastrophal, es soll noch mehr regnen als heute. Na, dann sind wir ja gespannt. Zunächst schlendern wir jedoch erst einmal zu Micki's Bar an der Brücke über die Sarca und finden dieses "Szenelokal" bereits am frühen Abend verschlossen. So toll kann es dort also nicht sein, denken wir uns, und begeben uns zurück in die Ortsmitte von Torbole. Dort ist in der Tat ziemlich viel los und die Party findet zum größten Teil auf dem Gehweg und auf der Straße vor den Bars statt. Da uns beiden jedoch nicht nach Party zumute ist und wir auch nicht das passende Outfit haben, kaufen wir noch schnell Zigaretten, eine Schachtel Cohibas und was zu lesen und verziehen uns wieder auf den Campingplatz. Dort werden gerade die Tore geschlossen und wir ergattern noch eine Literflasche des hervorragenden weißen Landweins, der in der Campingbar zum Preis für ein großes Bier direkt vom Fass abgezapft wird.

Mit Wein, Bechern, Knabberzeug, Isomatte und Pullover ausgestattet geht es dann zum Strand, wo es alles andere als gemütlich, still und einsam ist, da sich reichlich junges Volk vor dem Weiterzug in die Bars dort zum „Vortrinken“ versammelt. Beim ersten Schluck Wein bemerken wir, dass die Blitze nicht nur von den Fotokameras der Strandbesucher stammen, sondern auch einem nahenden Gewitter zugeordnet werden können. Als wir eine halbe Stunde später auch das erste Donnergrollen vernehmen, wird es Zeit, wieder in Richtung Zelt zu verschwinden. Gerade rechtzeitig vor dem einsetzenden Regen haben wir wieder einmal unsere Ausrüstung regensicher verpackt.

Dieses Gewitter ist kein Spaß: Es beginnt auf der Stelle so stark zu regnen, dass nach nur wenigen Minuten die "Küche" unter Wasser steht und der Campingplatz sich wieder in die vom frühen Morgen bekannte Seenlandschaft verwandelt. Blitz und Donner sowie der prasselnde Regen halten uns über drei Stunden wach und ständig muss irgendeine Ecke unserer Innenzelte trocken gewischt werden. Als nach eineinhalb Stunden alles schon vorbei zu sein scheint, schlägt direkt in der Nähe, quasi als krönender Abschluss der Veranstaltung, der Blitz ein. Die Helligkeit ist unglaublich. Der ohne jegliche Zeitverzögerung folgende Knall und die anschließenden Bergechos sind so laut, dass die Zeltbahnen wackeln und die Ohren noch Minuten später klingeln. Wuffel ist schwer verstört und weint, aber es ist noch mal alles gut gegangen. Trotz der Nähe des Einschlags funktionieren glücklicherweise auch alle Elektrogeräte noch.

Vor drei Uhr morgens kehrt auf dem Campingplatz keine Ruhe ein. Kein Wunder, denn wer kann auch schon bei diesem Getöse schlafen. Es dauert lange, bis sich alle wieder beruhigt haben und in den Schlaf finden. Nur im kleinen Quechua-Zelt nebenan ist noch eine Pärchen-Party im Gange: Zwei deutsch sprechende Mädels haben mit zwei italienisch sprechenden Jungs angebandelt und finden das Ganze unheimlich lustig. Möglicherweise sind auch Alkohol oder andere Substanzen mit im Spiel und so ist der Lärmpegel für einige Zeit noch relativ hoch. Apropos Pegel: Nach dem Rückzug des Wassers aus unserer Küche kramen auch wir unsere Schlafsäcke hervor und fallen trotz andauernden Regens in tiefen Schlaf.