20. Tag (Freitag, 13.08.): Torbole 

Es regnet mit nur wenigen Pausen bis zum frühen Abend, wir haben also nicht besonders viel Glück mit dem Wetter. "Kein Wunder", unke ich still vor mich hin, "es ist ja auch Freitag der 13te." Was tun? Ab und zu zur Toilette muss sein. Aber darüber hinaus bewegen wir uns nicht aus unserem klammen Zelt hinaus, essen alle Vorräte auf und schlagen die Zeit mit Lesen tot: Seit heute weiß ich nun endlich, was mit Ronald Niedermann passiert ist und kann in Bezug auf Stieg Larsson mitreden.

Wir sind uns einig, dass dies nicht wirklich der Sinn der Radtour ist, aber wir wollen weder jetzt zurückfahren, ohne den Tremalzo bewältigt zu haben, noch weiter in Richtung Süden radeln, da für eine solche Regenflucht die Zeit nicht mehr ausreicht. Die Variante, nicht mit dem Fahrrad, sondern mit einem Leihwagen weiter in den Süden zu reisen, haben wir bereits gestern nach dem Wetterbericht im italienischen Fernsehen verworfen, denn wir müssten schon bis mindestens nach Bari fahren, um in den ungetrübten Genuss von Sonnenschein und Beachlife zu gelangen. Und ein Besuch in Venedig, das Tourziel des vergangenen Jahres, macht bei Regen auch keinen Spaß. Im Grunde genommen sind wir die ganze Tour vor dem Regen geflohen und jetzt hat er uns doch eingeholt, es musste ja so kommen.

Auf dem Campingplatz ist es merklich leerer geworden, eine Reihe von Urlaubern scheint wegen des kühlen und regnerischen Wetters abgereist zu sein und neue Gäste verzögern ihre Anreise. Auch die immer gut gelaunte Abiturienten-Truppe von nebenan, die ihre Zeit ausschließlich mit seichtem Gelabere und der Zubereitung von umfangreichen Mahlzeiten verplempert hat, packt ihre Siebensachen in zwei großvolumige Fahrzeuge und verzieht sich in heimische südwestdeutsche Gefilde. Für uns beide nicht wirklich ein Grund, traurig zu sein, denn die Truppe war uns in den vergangenen Tagen definitiv nicht ans Herz gewachsen.

Erstaunt bin ich immer wieder über die Bewohner der modernen Quechua-Zelte: Die Dinger sind offensichtlich hochgradig wasserdicht, aber leider superklein. Liegen oder sitzen sind die einzig möglichen Körperhaltungen und in vielen Fällen reicht der Platz innen nicht aus, um auch das Gepäck mit unterzubringen. Es wäre für mich schon ein echter Horror, in so einem Mikrozelt einen Regentag zu verbringen. Aber die meisten dieser Zelte sind nicht mit einer, sondern mit zwei Personen belegt! Da sind dann Toleranz und Rücksicht zwei zwingende Bedingungen, egal wie verliebt man ist, und eine Partnerschaft, die so einen Urlaub übersteht, wird eine gewisse Stabilität aufweisen.

Und was ist mit den anderen Campinggästen an solch einem Regentag? Die Italiener sind mehrheitlich und konsequent bereits am Morgen in der Campingbar anzutreffen, der Espressoumsatz ist bei Regen sicherlich um ein Vielfaches höher als an "normalen" Sommertagen. Viele deutsche und österreichische Gäste versuchen es mit "italienischer" Lebensweise und versammeln sich ebenfalls in und vor der Campingbar zum Espresso, Cappuchino oder auch zum In-Getränk dieses Sommers, dem "Spritz-Aperol", ein Longdrink bestehend aus Prosecco auf Eis mit einem gehörigen Schuss Aperol. Schmeckt übrigens phantastisch, prost. Gelegentlich sind diese halb angetrunkenen Zeitgenossen ganz witzig, manchmal aber auch leider völlig unwitzig. So wie der schwachsinnig, in feistestem saarländischen Dialekt laut quatschende Mittdreißiger, der sprachlich und inhaltlich eine Kurt Becker-Kopie sein könnte und mit seinen dämlichen Geschichten eine andächtig schweigende Tafelrunde sowie die gesamte Nachbarschaft nervt.

Andere Nationalitäten, z.B. die sonst in Massen auftretenden Holländer, sind auf diesem Campingplatz nur wenig anzutreffen, weiß der Geier, was dafür der Grund ist. Vielleicht sind sie dadurch verunsichert, dass der Platz nur einen Stern im offiziellen Campingführer hat? Ach ja, da ist noch das unscheinbare, ältere Paar von nebenan, die in einer mir nicht bekannten Sprache kommunizieren. Auch an sonnigen Tagen sind sie kaum wahrzunehmen und hocken von morgens bis abends unter ihrem Pavillon, den sie vor ihr großes Zelt gestellt haben. Heute treten sie noch weniger in Erscheinung, aber tot sind sie noch nicht, denn gelegentlich sorgt einer von den Beiden dafür, dass sich nicht zuviel Wasser auf ihrem Pavillon sammelt und die Plane einreißen lässt.

Die Kids, unabhängig von der Nationalität, kümmern sich nicht um das Wetter und versammeln sich an den Tischtennisplatten, um den ganzen Tag ihre internen Meisterschaften auszuspielen. Die italienischen Kids lernen auf diese Weise ihre ersten Brocken Deutsch, sowie umgekehrt die deutschen Kids plötzlich den Punktestand in gebrochenem Italienisch verkünden. Ich finde, diese Art von Völkerverständigung hat was, auch wenn das ständige Ping-Pong in mir Kindheitserinnerungen an die Orte hervorruft, wo man so früher Ping-Pong spielte: Muffige Keller und nach abgestandenem Schweiß stinkende Turnhallen, eigentlich keine besonders angenehme Assoziation...

Das weibliche Jungvolk nutzt die Zeit, um sich mal wieder richtig aufzustylen und verbringt die meiste Zeit des Tages in den Duschen und vor den Spiegeln im Waschraum. Das Resultat ist dann abends zu bewundern: Jedes Detail stimmt und jedes Härchen liegt richtig. Ganz besonders fällt die "holde Maid" auf, die von uns so genannt wird, weil sie ihre blonde Haarpracht in kunstvoll geflochtenen Zöpfen um den Kopf gewickelt hat und damit aussieht, wie direkt der Nibelungen-Saga entsprungen.

Ansonsten regnet es den ganzen Tag mit nur kleinen Pausen, erst abends um halb acht verschwindet die Bewölkung ohne Vorwarnung und macht strahlend blauem Himmel Platz. Morgen wieder "echtes" Italienwetter? "Schau'n mer mal...", wie der Kaiser zu sagen pflegt.