22. Tag (Sonntag, 15.08.): Tremalzo 2 

Am frühen Abend um halb sechs stehen wir beide mit hängenden Schultern und tropfnass wie zwei begossene Pudel unter einigen hohen Bäumen und sehen keine andere Möglichkeit mehr, als die heutige Tour jetzt und hier abzubrechen. Wie konnte es dazu kommen? Nun, es gibt vier Faktoren, die zur Beantwortung dieser Frage berücksichtigt werden müssen.

Als erstes ist sicherlich zu bedenken, dass sich aus der Radtour in 2009 ein Ziel bis in dieses Jahr erhalten hat, nämlich die Überquerung des Passo Tremalzo. Die Strecke ist anspruchsvoll, fordert Technik und Kondition und gilt als die Königsdisziplin unter allen Touren am westlichen Gardasee. Also genau das Richtige für den Abschluss der Bike-Saison, der für uns unweigerlich näher rückt. Ich bin den Tremalzo schon zwei Mal gefahren und kann diese Beurteilung nur bestätigen, es ist wirklich eine traumhaft schöne Strecke und ich habe natürlich Wuffel so einiges über Schotterpisten, Gipfeltunnel und Aussicht vorgeschwärmt. Der Versuch im vergangenen Jahr scheiterte daran, dass wir uns für den Anstieg die langwierige Trage-Schiebe-Strecke über den Passo Rocchetta ausgesucht hatten und Probleme mit der Zeit und der Kondition hatten. Der Passo Tremalzo war dadurch jedoch nicht in Vergessenheit geraten, sondern geisterte quasi als Wahnvorstellung bis in dieses Jahr durch insbesondere Wuffels Kopf.

Faktor Nummer zwei ist der Wetterbericht. Vor jeder Bergtour sollte der Wetterbericht gecheckt werden, alte Bergsteigerregel. Kein Problem für uns, verfügen wir doch über Internet auf dem Campingplatz, und so haben wir uns umfassend informiert. Mit dem Ergebnis, dass für den Vormittag noch einzelne Wolken am Himmel erwartet wurden, der Nachmittag jedoch mit strahlendem Sonnenschein glänzen sollte. Und tatsächlich: Die Wolken, die am frühen Morgen noch für ein sattes Grau am Himmel sorgen, verziehen sich im Laufe des Vormittags, die Temperatur steigt, die Stimmung auch.

Faktor Nummer drei ist unser persönliches Zeitmanagement. Frühes Aufstehen alleine ist keine Gewähr dafür, dass wir auch früh auf der Strecke sind, denn vor dem Start sind noch sooo viele Dinge zu erledigen: Einkaufen für's Frühstück, gemütliches frühstücken, trocknen des nach nunmehr zwei Regentagen feuchten und klammen Zeltinventars, Espresso trinken, noch eben schnell Geld aus dem Automaten holen, usw. Fakt ist, wir sind zu spät am Start, um noch die Fähre nach Limone zu erwischen und entscheiden uns wiederum für den Anstieg auf den Passo Tremalzo vom Val di Ledro.

Der letzte Faktor ist unser Optimismus. Spätestens beim Einstieg in das Val di Ledro hätten bei uns die Alarmglocken schrillen müssen, denn die Wolkenbildung in diesem Regenloch ist erstaunlich: Über dem Gardasee war nichts als blauer Himmel zu sehen, über dem Lago di Ledro erwartet uns als Kontrastprogramm sattes Grau in verschiedenen Abstufungen von hell nach dunkel. Da sich bereits erste Regenschleier an den Berghängen zeigen, legen wir an der Strandbar von Molina  eine Pause ein. Wir stärken uns mit einem Snack und einem Radler, während draußen einige Tropfen fallen. Wir sind grenzenlos optimistisch, denn es ist drei Uhr und wir sind davon überzeugt, dass es sich bei diesen Tropfen nur um den typischen 3-Uhr-Regen handelt, der schnell vorüber zieht. Tatsächlich ist es auch nach wenigen Minuten wieder trocken und wir schwingen uns auf unsere Bikes. Dieser Optimismus hält selbst dann noch an, als auf der Weiterfahrt durch Bezzecca und Tiarno die Straße richtig nass ist und wir durch große Pfützen fahren müssen. Da wir keine Schutzbleche montiert haben werden wir nun erst einmal richtig nass. Kurz nach dem Lago di Ampolla geht es auf die asphaltierte Passstraße hinauf in Richtung Tremalzo. Bereits nach wenigen hundert Metern bricht ein Gewitter direkt über uns hinein und wir müssen für eine Viertelstunde Schutz unter einer dichten Fichte suchen. Erste Zweifel machen sich breit, aber nach dem Ende des Regens fahren wir trotzdem weiter. Eine halbe Stunde später erreicht uns das nächste Gewitter und jetzt dämmert es uns, dass wir umkehren müssen.

Tja, so kommt es also, dass wir hier unter diesem bescheuerten Baum stehen, frustriert und tropfnass sind und jetzt auch noch bei strömendem Regen zurück müssen. Aber es hilft nichts, hinab ins Tal.

Am Mittag war der Anstieg auf der Ponale ins Val di Ledro noch von phantastischen Ausblicken auf das nördliche Seeufer bei tiefblauem Himmel gekrönt. Durch Zufall fanden wir bei einer Pause kurz hinter dem Abzweig nach Pregasina sogar die Reste einer in den Fels gehauenen MG-Stellung aus dem ersten Weltkrieg, die so genannte "vordere Stellung", und unsere gute Laune wurde durch diese Entdeckung noch besser. Ganz anders allerdings der Abstieg, denn die Ponale ist bei diesem Wetter überhaupt keine Traumstrecke: Überall liegen Steine herum und mitten auf dem Weg hat sich ein kleiner Bach gebildet. Langsam fahren ist sowieso angesagt, da unsere Bremsen bei dieser Nässe nur mit Verzögerung wirken und bei zu starker Inanspruchnahme schnell blockieren. Wir erreichen Torbole mit dem nächsten Gewitter im Rücken, völlig durchgefroren und komplett durchnässt. Auch in unseren Schuhen haben wir reichlich Wasser mitgebracht, das als Trinkwasser jedoch nicht wirklich geeignet ist. Zu allem Überfluss hatten wir bei unserer Abfahrt das Zelt nicht verschlossen, so dass jetzt auch die Innenzelte durch herein spritzenden Regen feucht geworden sind. Wir sind also rundum nicht-glücklich!

Unsere Abendbeschäftigungen: Saubermachen, duschen, einkaufen, essen, Wäsche waschen und trocknen, Weinflasche leeren. Zwischendurch regnet es immer mal wieder und der Campingplatz ist eine große Pfütze. Und irgendwann nachts gibt es zur Abwechslung noch einmal ein Gewitter. Was hat dieses Wetter mit der Wettervorhersage zu tun?