27. Tag (Freitag, 20.08.): Torbole – Rovereto

Ich wache um vier Uhr auf und stelle fest, dass Wuffel noch nicht "zu Hause" ist. "Was soll's", denke ich, "sie kann ja auf der Rückfahrt im Zug schlafen." Mit diesem Gedanken drehe ich mich um und schlafe auf der Stelle wieder ein. Um sechs Uhr ist die Nacht dann zu Ende. Da ich immer noch nichts von Wuffel gehört habe, lade ich sie per SMS zum Frühstücken ein und beginne schon einmal zu futtern.

Was war das? Ein Geräusch aus der anderen Zelthälfte lässt mich aufhorchen. Ein Mäuschen oder ein neugieriger Spatz? Ich bin etwas beunruhigt und werfe einen Blick in Wuffels Innenzelt. Zu meiner größten Überraschung finde ich dort eine schlafende Tochter vor. Sapperlot, hat der Nachwuchs meinen alkoholisierten Zustand doch dazu ausgenutzt, unbemerkt in das Zelt zu schleichen! Auf der einen Seite bin ich beruhigt, dass sie wenigsten noch eine oder zwei Stunden geschlafen hat. Andererseits bin ich auch schwer irritiert: Ich schlafe  so fest, dass ich es nicht bemerke, wenn sich jemand ins Zelt schleicht. Also werde ich es auch nicht bemerken, wenn ich nachts einmal ausgeraubt werde. Ein fataler Gedanke...

Und wie ist Wuffel auf den Campingplatz gekommen? Wie vermutet war sie in Begleitung, nämlich einer der "dunklen Schwestern", was aber nichts gebracht hat, denn auch die "dunkle Schwester" hatte keine Magnetkarte und so sind beide kurzerhand über das Tor geklettert. "Du hättest mich ja anrufen können," ist mein Kommentar zu dieser merkwürdigen Form von Frühsport, "ich hätte dir geöffnet." Rein theoretisch hätte sie das wirklich tun können, aber praktisch gab es ein Problem, da das Guthaben auf ihrer Handykarte nur noch wenige Cent beträgt und nicht einmal mehr für eine SMS ausgereicht hätte. Und nun fällt mir auch wieder ein, dass Wuffel mir dies bereits gestern erzählt hat. Im  nüchternen Zustand hätte ich mich daran erinnert, mit real existierendem Alkoholpegel aber nicht. Das war also der Fehler in meinem alkoholisierten Gedankengang vom Vorabend. Na ja, es hat ja auch so geklappt und sie musste nicht am Strand schlafen.

Das Frühstück, heute aufgrund der Uhrzeit einmal ein echtes "Früh"stück, fällt nicht besonders umfangreich aus, da wir vom opulenten Abendessen noch gut gesättigt sind und Wuffel um diese Uhrzeit prinzipiell nicht hungrig ist. Dann beginnen wir mit dem Zusammenpacken und letztendlich muss nun eine Entscheidung getroffen werden: Was soll mit dem Zelt geschehen? Wir diskutieren noch einmal hin und her und werfen das Zelt dann kurz entschlossen, aber ein bisschen wehmütig, in den Restmüll. Jetzt noch bezahlen (6,00 pro Tag für den Zeltplatz, 7,80 pro Tag und Person), schnell einen Abschiedsespresso an der Campingbar und dann geht es auf dem jetzt glücklicherweise noch schattigen Radweg steil hinauf nach Nago und weiter über den Passo San Giovanni und Mori nach Rovereto.

Im uns bereits bekannten Baumarkt besorgen wir Planen und Klebeband, so dass wir auf dem Bahnsteig des ziemlich verschlafenen Bahnhofs von Rovereto unsere Bikes zu handlichen Paketen verpacken können. Wir beeilen uns sehr, denn es ist bereits zwölf Uhr und um viertel vor eins erwarten wir den EuroCity nach München. Wir sind uns nicht ganz sicher, auf welchem Bahnsteig der EuroCity einläuft und so werfe ich noch schnell einen Blick auf den Aushang.

Verwundert reibe ich mir die Augen: Um viertel vor eins fährt gar kein EuroCity!? Leichte Panik macht sich breit und ich sehe mir den Plan etwas genauer an. Viertel vor vier, viertel vor zwei, viertel vor zwölf sind die Abfahrtszeiten. Alle zwei Stunden eben. Und wie kommen wir auf viertel vor eins? Um ehrlich zu sein, wir wissen es beide nicht und wundern uns über unsere kollektive Dämlichkeit. Richtiger Ärger kommt aber trotzdem nicht auf, denn um viertel vor eins wären wir mit dem Verpacken niemals fertig gewesen.

Für den Rest des Tages läuft jedoch alles wie am Schnürchen. Der Zugbegleiter hilft uns beim Einladen unseres "Handgepäcks" und hat keine Probleme damit, dass wir in dem nur spärlich besetzten Zug die Bike-Pakete auch entgegen der "Verkehrs-Ordnung für die Eisenbahnen Deutschlands" auf Sitzplätzen unterbringen. Zudem hat er Langeweile und wir unterhalten uns über Erlebnisse in und mit der Bahn. So erfahren wir einige Kuriositäten über die schöne neue Welt des Bahnfahrens in einem vereinten Europa, das unproduktive Nebeneinander der DB und der Trenitalia auf dieser Strecke und die Unbeweglichkeit von großen Konzernen: So ist es den Zugbegleitern selbstverständlich nicht verborgen geblieben, dass diese Strecke häufig von Radlern genutzt wird und es wurde bereits mehrfach angeregt, dem EuroCity zumindest in den Sommermonaten ein Fahrradabteil anzuhängen. Was ist passiert? Bis jetzt noch nichts, wie wir ja selbst erfahren haben, und in der Planung ist auch nichts.

In München ist es warm und die Sonne scheint tatsächlich vom tief dunkelblauen Himmel. Ja, es ist Biergartenwetter und so beenden wir den Urlaub mit Bier in Maßen und zünftigen Speisen im "MaxE", dem Max-Emanuel Biergarten in Uninähe, wo wir mit viel Glück ohne Wartezeit einen Tisch ergattern können. Nachdem im "MaxE" pünktlich um 23 Uhr gar nichts mehr geht verziehen wir uns ins "X", eine für Münchner Verhältnisse untypisch alternative Bar in Schwabing. Das "X" ist kein Geheimtipp, aber auch nicht einfach zu finden: Es gibt keine Leuchtreklame und keine Werbung, die Fenster sind blickdicht verrammelt, die Tür ist schäbig und unterscheidet sich nicht von einer Eingangstür für ein "normales" Mehrfamilienhaus und auf der Straße vor der Kneipe ist es absolut ruhig. Kein Schickimicki, dafür rote Ledersofas und eine Einrichtung vom Sperrmüll, ein Musikmix, der nicht auf einen bestimmten Stil fixiert ist und ein sehr gemischtes Publikum, bei dem ich möglicherweise der Alterspräsident bin, aber trotzdem nicht auffalle. Sehr kurios ist das Herrenklo: Im Vorraum sind die Pissoirs und eine Sitzgelegenheit untergebracht, auf dem es sich tatsächlich ein Pärchen (hetero!) bequem gemacht hat und Beziehungsprobleme diskutiert. Für Unterhaltung beim Pinkeln ist also gesorgt. Kurzum, uns gefällt es hier und wir bleiben, bis um halb vier die Musik aus und das Licht ein geschaltet wird. Wuffel ist übrigens nicht mehr mit dabei, denn sie schwächelte bereits im "MaxE" und holt nun schon seit einigen Stunden den gestern versäumten Schlaf nach.